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Leitartikel


DER WIENER PSYCHOANALYTIKER möchte nicht nur bereits international etablierten Psychoanalytikern/Innen, sondern auch noch unbekannten Psychoanalytikern/Innen die Gelegenheit geben einen selbstverfassten, bisher noch nicht publizierten Artikel auf der Titelseite unseres Onlinemagazins zu posten!

Im Forum werden dann dazu alle User Stellung nehmen, Fragen formulieren und kommentieren können. Wir wollen dadurch einen bisher so noch nicht dagewesenen, internationalen Gedankenaustausch zwischen Psychoanalyse-Interessierten ermöglichen.
Aktuelle Textsprache ist Deutsch und/oder Englisch.

Bei Interesse, Ihre Zusendungen bitte an:
leitartikel@derwienerpsychoanalytiker.at


(Werden Personenbezeichnungen aus Gründen der besseren Lesbarkeit lediglich in der männlichen oder weiblichen Form verwendet, so schließt dies das jeweils andere Geschlecht mit ein.)

IM GESPRÄCH MIT

Autor/in: Lea Dohm

(06.09.2017)
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In unserer Interviewreihe "im Gespräch mit" stellen wir kurz die AutorInnen der Leitartikel vor.
Damit wollen wir unseren Lesern die Möglichkeit geben, die Leitartikel auch aus einer anderen Perspektive heraus lesen zu können.
Diese Woche haben wir die große Ehre, dass einer unserer Feuilletonautoren sich entschieden hat einen Leitartikel für uns zu schreiben.
Daher ist die Vorstellung ihrerseits heute leicht abgeändert.
Lea Dohm‘s Interview können Sie, liebe Leser, hier nachlesen!


Wir freuen uns ganz herzlich darüber Lea Dohm aus Stadthagen, Deutschland begrüßen zu dürfen:

Lea Dohm, geb. Peplau, verheiratet, 2 Kinder.
Okt. 2000 - Feb. 2006: Studium der Dipl.-Psychologie an der Carl-von-Ossietzky Universität Oldenburg
Sep. 2005 - Sep. 2011: Weiterbildung zur tiefenpsychologisch fundierten Psychologischen Psychotherapeutin in der Ausbildungsstätte der Carl-von-Ossietzky Universität Oldenburg, Centrum für Lebenslanges Lernen (C3L)
Aug. 2011 - Jan. 2014: Fernstudium Fachjournalismus Aug. 2011 - Jan. 2014 an der Freien Journalistenschule Berlin
Seit Feb. 2016: Weiterbildung zur psychoanalytisch orientierten Gruppenpsychotherapeutin in Göttingen, Tiefenbrunn.
Seit März 2012: Niedergelassen in Stadthagen in eigener psychotherapeutischer Praxis mit Zulassung zur Kassenärztlichen Versorgung
Mai 2011 - Dez.2014: Referentin für Öffentlichkeitsarbeit bei der Psychotherapeutenkammer Niedersachsen
Zuvor mehrjährige Tätigkeit in drei verschiedenen psychiatrischen Kliniken
Mitglied im bvvp, IPPNW, der Humanistischen Union und Pro Asyl.

Die Reihe der Zitate, die mich und meine Arbeit geprägt haben, möchte ich mit „dem Klassiker“ beginnen: Irvin Yalom. Ich wähle ihn als modernen Psychoanalytiker, der nicht müde wurde, sich zur grundsätzlichen psychotherapeutischen Haltung zu äußern.

„Vernachlässigen Sie Ihre eigene Therapie nicht“ (Yalom, I.D. „Der Panama-Hut – oder Was einen guten Therapeuten ausmacht“ 10 Aufl. btb, München 2002. S. 55)

Solange wir mit Patienten arbeiten, sollte unsere Selbsterfahrung nicht aufhören. Dem gibt es nichts hinzuzufügen.

Des Weiteren hat mich Otto Kernbergs Narzissmustheorie seit langem in ihren Bann gezogen, weswegen ich Kernberg hier als zweiten Klassiker direkt anreihen möchte. Unmittelbar anwendbar (nicht nur im Therapiesetting), klug durchdacht und klar vorgetragen sollte die Lektüre von ihm zum Standard der psychologischen, psychotherapeutischen und psychoanalytischen Ausbildung gehören. Meinem Verständnis nach dürfte sie auch in den Standardlehrplan eines Gymnasiums gehören.

Beispielhaft wähle ich das folgende Zitat, in dem er sich auf narzisstische Persönlichkeiten bezieht und in dem sich die anschauliche Art seiner Beschreibungen wiederfindet:

Ihr Gefühlsleben ist seicht; sie empfinden wenig Empathie für die Gefühle anderer und haben – mit Ausnahme von Selbstbestätigungen durch andere Menschen oder eigene Größenphantasien – im Grunde sehr wenig Freude am Leben; sie werden rastlos und leiden unter Langeweile, sobald die äußere Fassade ihren Glanz verliert und momentan keine neuen Quellen der Selbstbestätigung mehr zur Verfügung stehen.“ (Kernberg, O. „Borderline-Störungen und pathologischer Narzißmus“ suhrkamp, Frankfurt 1978. S. 261-262)

Ich schätze Kernberg dafür, dass er Narzissmus nicht ausschließlich als klinisches Problem betrachtet, sondern in seinen Arbeiten in einen größeren, gesellschaftlichen Zusammenhang einfügt.

Damit leite ich gerne über zu einer zweiten Gruppe von Zitaten, in denen die Psychoanalyse stärker auch soziologisch angewandt wird:

„Menschliches Bewusstsein resultiert (…) aus der kulturbasierten Interaktion vieler Gehirne und innerhalb dieser Gehirne aus dem Zusammenwirken vieler Nervenzellnetze. Es ist damit ein interpersonelles Phänomen, obwohl es phänomenal individuell erfahren wird.“ (Boessmann, U. „Bewusstsein“. dpv, Berlin 2013. S. 12)

Dieses Zitat mag zunächst etwas komplexer klingen, es lohnt sich aber sehr, es dreimal durchzulesen. Durch die Lektüre von Boessmann habe ich Intersubjektivität erstmals begreifen oder auch erfahren können. Die Implikationen sind immens und beschäftigen mich bis heute. Boessmann benennt viele in seinem Buch zum Beispiel „unsere Abhängigkeit vom Kollektiv“, die „Verantwortung, die uns hier zufällt“ (S. 16). Weil ich eben diese Konsequenzen so mächtig und elementar finde, stammt auch mein nächstes Zitat aus diesem Buch:

„dass wir nämlich nicht umhinkommen, den in unserer Kultur allzu hoch gezüchteten Egozentrismus und Hedonismus in Richtung einer umfassenden kollektiven Verantwortungsethik weiterzuentwickeln“ (Boessmann, U. „Bewusstsein“. dpv, Berlin 2013. S. 16)

Was wiederum direkt zu meinem letzten Lieblingszitat überleitet:

„Im Zuge ihrer Etablierung als medizinisch-psychologisches Heilverfahren hat die Psychoanalyse ihre geisteswissenschaftlichen, kulturanalytischen und politischen Ansätze vernachlässigt“ (Volkan, V.D. „Das Versagen der Diplomatie. Zur Psychoanalyse nationaler, ethnischer und religiöser Konflikte“ Psychosozial-Verlag, Gießen. 3. Aufl. 2003. S. I (Vorwort von Hans-Jürgen Wirth)

Wer sich als Psychoanalytiker versteht, hat demnach immerzu viel Arbeit – auch außerhalb der Heilkunde - vor sich. Dieses intersubjektive, aufs Kollektiv ausgerichtete Verständnis dient mir als persönliche und auch psychotherapeutische Grundhaltung.


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