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Leitartikel


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Virginia Woolfs ambivalentes Verhältnis zur Psychoanalyse

Autor/in: Sabrina Zehetner (DWP)

(30.08.2017)
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"Freud is upsetting: reducing one to whirlpool; & I daresay truly. If we´re all instinct, the unconscious, what´s all this about civilisation, the whole man, freedom &c?”.  Virginia Woolf war hin-und hergerissen, was die Psychoanalyse betraf. Einerseits betrachtete Woolf die Psychoanalyse als Bedrohung und Konkurrenz, andererseits gab sie ihr Orientierung. Vielleicht waren die rationalen Beobachtungen Freuds auch zu realitätsnah für die schwermütige Autorin.

Als Virginia Woolf auf Freud traf, wehrte sie sich nach wie vor gegen die raison d´être der Psychoanalyse und beschrieb den Arzt als “screwed up shrunk very old man”, der „inarticulate: but alert” zu sein schien, “an old fire now flickering” mit “immense potential”. Diese Ambivalenz würde ihre Meinung zur Psychoanalyse ein Leben lang prägen. Das Feld war zu rational, zu objektivierend für die Autorin und ihrer romantisierenden Herangehensweise an ihre Arbeit und ihrem Selbstbild. Für Freud war Kreativität kein abstraktes Konzept, sondern starb verbunden mit der Biografie eines Autors. Er nahm das Rätselhafte, das Unerklärbare aus der Gleichung heraus und versuchte stattdessen die zugrundeliegenden Motive des kreativen Prozesses zu interpretieren. Es stürzte die Persona des Künstlers vom Podest und verletzte dabei den Stolz nicht weniger Autoren. Schließlich ist die Wahrheit selten so spannend wie die exzentrischen Geschichten, die Künstler um ihre Leben zu spinnen neigen. Virginia Woolf jedoch war nicht nur Opfer ihres eigenen Egos: "Virginia´s need to write was, among other things, to make sense out of mental chaos and gain control of madness. Through her novels she made her inner world less frightening. Writing was often agony but it provided the ´strongest pleasure´ she knew" (Psychiatrist Peter Dally, 1999)

Freuds analytische und objektive Beobachtungen ängstigten sie vermutlich zutiefst. Sie vermied es ihre Unzulänglichkeiten auf eine Weise zu adressieren, die Heilung ermöglicht hätte, indem sie ihre Charaktere als Erweiterung ihres Selbst benutzte.

Später war sie davon überzeugt, dass die Schriftstellerei als Behandlung ausreichte: “I suppose that I did for myself what psycho-analysts do for their patients. I expressed some very long felt and deeply felt emotion. And in expressing it I explained it and then laid it to rest”.  In einem ihrer Tagebucheinträge schreibt sie: “How many times have people used a pen or paintbrush because they couldn’t pull the trigger?” Ihr späterer Suizid jedoch bewies, dass nichts in Virginia Woolfs Psyche jemals zur Ruhe gefunden hatte. Normalität war keine erstrebenswerte Option für die exzentrische Autorin.

Das Rollenklischee des gequälten und brillianten Künstlers hat in diesem Zusammenhang eine lange und weitverbreitete Tradition. Ähnlich wie bei Sylvia Plath, waren Virginia Woolfs mentale Probleme so verflochten mit ihrer Vorstellungskraft, dass eine Psychoanalyse die Dynamik der Künstlerin mit Sicherheit gestört hätte. Was, wenn die Behandlung die Grundlage ihrer Vorstellungskraft ausradierte? Der Psychologe James C. Kaufman bezeichnete das Phänomen suizidaler Autoren als „Sylvia Plath effect“ und demonstrierte, dass vor allem Autorinnen anfällig für die Entwicklung mentaler Probleme und Suizid sind. Virginia Woolf verlor ihre Mutter als sie 13 Jahre alt war, gefolgt von dem Tod ihres Vaters neun Jahre später. Die Liste ihrer psychischen Probleme war lang und schien kein Ende zu nehmen. In ihren Augen war Freud ein weiterer Patriarch, der drohte ihr kreatives Talent und ihre Genialität zu untergraben. Die bloße Vorstellung, dass all ihr künstlerisches Talent die Folge schmerzhafter Kindheitserinnerungen war, beleidigte sie. Ihre eigenen und die Probleme ihrer Charaktere romantisierend, irritierte Virginia Woolf, was sie als „Freudian Fiction“ bezeichnete und bevorzugte, was Keats „Negative Capability“ nannte – die Fähigkeit „of being in uncertainties, mysteries, doubts, without any irritable reaching after fact and reason”.

Ein Teil von ihr liebte diese Dunkelheit, die unerklärten Mysterien ihres Selbst. Freuds Arbeit bestand darin diese aufzuklären, das Innere und Versteckte aufzudecken. Paradoxerweise hatte sie in dieser Hinsicht mehr mit ihm gemeinsam als sie wagte zuzugeben, und betrachtete ihn vielleicht sogar als Konkurrenz. Beide verstanden es das Innenleben des Geistes zu beschreiben und waren eifrige Autoren.
 
Als zentrales Mitglied der Bloomsbury Group war es allerdings fast unmöglich der Faszination der Gruppe für Freud und die Psychoanalyse zu entgehen.  In den 1920er Jahren wurden viele Bloomsburies selbst Psychoanalytiker, darunter auch Woolfs Bruder Adrian und ihre Schwägerin Karen Stephen, die zum Ärger der Autorin beide von Freud unterrichtet wurden. Die Analyse belastete die Ehe stark und Virginia Woolf sah sich in ihren Vorbehalten bestätigt. Zum Leidwesen Woolfs war sogar ihr Ehemann Leonard voll Lob für den österreichischen Arzt, verwies auf seine “wide imaginative power” und verglich seinen fantasiereichen Geist mit dem eines Dichters. Der Historiker Lytton Strachey war ein früher Bewunderer Freuds Werk. James Strachey und seine Frau Alix übersetzten seine Bücher für die Hogarth Press, die sich im Besitz von Virginia Woolf und Leonard befand. Es ist nicht überraschend, dass Freud in so einer Umgebung anfing auf Virginia Woolf abzufärben. Nach dem Treffen mit Freud und seinen darauffolgenden Tod im August 1939 beginnt sie seine Werke zu lesen und schreibt: “Began reading Freud last night; to enlarge the circumference. to give my brain a wider scope: to make it objective; to get outside.“

Das technische, psychoanalytische Vokabular half ihr dabei ihre Mitte zu finden und seine Theorien schienen ihr im dunklen Dickicht ihrer Gedanken Orientierung zu geben. Am Ende ihres Lebens begann sie sogar auf Freuds Einsichten zurückzugreifen: “It was only the other day when I read Freud for the first time, that I discovered that this violently disturbing conflict of love and hate is a common feeling; and is called ambivalence.” Vielleicht beschreibt gerade diese Erkenntnis treffend das Verhältnis Virginia Woolfs zur Psychoanalyse und Sigmund Freud.

                                                                                                                                


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