IM GESPRÄCH MIT
Autor/in: SOPHIA BENEDICT / DWP
In unserer Interviewreihe "im Gespräch mit" stellen wir kurz die Autoren der Leitartikel vor.
Damit wollen wir unseren Usern die Möglichkeit geben, die Leitartikel auch aus einer anderen Perspektive heraus lesen zu können.
Diese Woche freuen wir uns ganz besonders
Sophia Benedict aus Wien, Österreich zu begrüßen:
Geboren 1945 in UdSSR
Beruf: Wissenschaftsjournalistin, Schriftstellerin, Übersetzerin, Fachautorin
Staatsbürg: Österreich (1984 nach Österreich geheiratet)
Ausbildung: Universität Kasan, Russland: Studien in Publizistik, Deutsch, Literatur und Geschichte; Diplom für Publizistik
Weiterbildung: Aus- und Weiterbildungen in Wien für Deutsch, Psychoanalyse, Pädagogik in der Erwachsenenbildung, Kommunikation, Sprechtechnik
Sprachen: a) Russisch (Muttersprache); b) Deutsch (sehr gut) c) Ukrainisch (gut) d) Englisch (Grundkenntnisse)
Kultur- und Bildungsreisen: England, Türkei, Bulgarien, Polen, Ungarn, Malta, Südafrika, Tunesien, Israel
Arbeit: 08.07.1966 – 15.09.1984 Journalistische Tätigkeit (Zeitungen, Zeitschriften, Radio TV) in der UdSSR (Kasan, Tiflis, Moskau)
02.01.1985 – bis jetzt Freiberufliche Journalistin, Übersetzerin, Dolmetscherin in Wien
Mitgliedschaft bei:
Pressclub „Concordia“, Österreichischer PEN-Club, Österreichischer Schriftstellerverband (ÖSV), Österreichische Gemeinschaft von ÜbersetzerInnen literarischer und wissenschaftlicher Werke, Wiener Sigmund Freud Gesellschaft
Interessen: Fotografie (nebenberuflich), Malerei, Bildhauerei
Über 20 veröffentlichte Bücher.
DWP: Was brachte Sie dazu sich mit der Psychoanalyse zu beschäftigen, beziehungsweise mit Freud und seinen Errungenschaften? Sophia Benedict: Ich komme aus der UdSSR, wo die Psychoanalyse seit 1925 bis Mitte der 80-er Jahre unerwünscht war. Jeder weiß, wie süß die verbotene Frucht ist. Die wenigen Werke, die ich trotzdem gelesen habe, weckten mein Interesse und es wurde immer größer. Später als ich bereits in Wien lebte, habe ich ganz gierig fast alle Werke von Freud gelesen, ich besuchte die Vorträge über Psychoanalyse und nahm sogar als freie Zuhörerin an Vorlesungen von der Uni teil. Dann habe ich begonnen, Artikel und Bücher über Psychoanalyse zu übersetzen. Ich habe auch einige wissenschaftsjournalistische Bücher geschrieben, die in Russland erfolgreich herausgegeben wurden.
DWP: Haben Sie sich je einer Psychoanalyse unterzogen? Sophia Benedict: Ja. Gerade dadurch wurden meine Kenntnisse in der Psychoanalyse richtig vertieft.
DWP: Wenn Sie die Gelegenheit zu einem Gespräch mit Sigmund Freud hätten, was würde wohl zum Thema werden. Gibt es konkrete Fragen? Sophia Benedict: Einige. Zum Beispiel ungefähr so; Wir wissen, dass Freud sich vorwiegend mit psychischen Problemen befasste, die durch Verdrängung der sexuellen Wünsche und Triebe entstanden sind, wo Verheimlichungen und falsche Informationen bei Kindern zur Frage wo Babys herkommen, eine große Rolle spielten. So wurde empfohlen, Kinder auf keinen Fall zu belügen, sondern ihnen
schonend die Wahrheit beizubringen. Heute – jenseits jeder Moralisierung – würde ich den Vater der Psychoanalyse darum bieten, versuchen heraus zu analysieren, was passiert mit der Psyche eines Kindes und als Folge eines Erwachsenes, wenn Kinder in unserer heutigen aggressiv übersexualisierten Gesellschaft von ganz klein von Informationen über Sex verschiedener Art buchstäblich überflutet werden, also von
schonend kann wohl nicht die Rede sein! Aber Kinder sind – wie bekannt – Neugierig und Experimentierlustig. Also, zu welchen Fantasien und als Folge zu welchen Veränderungen in der Psyche eines Menschen diese Flut führen kann, das wäre meine Frage.
DWP: Stoff- oder Ledercouch? Sophia Benedict: Keine! Für mich nur einen bequemen Sessel! Warum? Ganz abgesehen davon, dass es für mich unangenehm wäre, dort zu liegen, wo bereits viele unbekannte Personen gelegen haben, wie kann ich überhaupt liegen, wenn eine andere Person sitzt, und besonders, wenn diese Person ein Mann ist! Wenn schon, dann soll er es sich vielleicht auch bequem neben mir machen. Das ist natürlich nur ein Scherz! Wenn ich ernst bleiben soll, auf einer Couch würde ich mich wie im Krankenhaus fühlen, wo man machtlos den Kompetenzen eines Arztes ausgeliefert ist. Für eine kurze Zeit wäre es vielleicht okay, auf Dauer aber ziemlich belastend. Wenn man darüber nachdenkt, während ein Arzt imstande ist, jedem Patienten zu helfen, ist der Erfolg eines Psychoanalytikers – sei er auch noch so ein absolutes Genie – Großteil von der „Begabung“ sowie auch von der Bereitschaft seitens des Patienten zusammenzuarbeiten abhängig. Dafür braucht man einen gewissen Grad an beiderseitiger Sympathie, ist es nicht so?
Weiter, zu einer der wichtigsten Aufgaben eines Psychotherapeuten gehört – meiner Meinung nach –die Bekämpfung vom Gefühl der Machtlosigkeit, das aus der Kindheit stammt. Ob nicht selten gerade dieses Gefühl die zukünftigen Neurosen bildet? Also zu der Couch, einerseits dient sie zur Entspannung, was in der Psychotherapie überaus wichtig ist, andererseits aber stellt sie die Beide – den Psychoanalytiker und den Patienten – in eine ungleiche Lage, sie verweigert dem Patienten wenigstens die Illusion (Fantasie) der Gleichwertigkeit. Ich persönlich würde mich auf einer Couch auch weiterhin ziemlich machtlos, ja ausgeliefert fühlen, besonders, wenn ich das Gesicht des Psychotherapeuten nicht sehen könnte. Es ist klar, dass Anonymität eines Psychoanalytikers in der Psychotherapie enorm wichtig ist, aber sich ganz vor dem Patienten zu verstecken, ist doch auch falsch. Wenn ich seine alles verstehenden Augen, ein Schatten des Mitgefühls, seine Güte ohne Worte nicht sehen kann, würde ich auch weiterhin nicht das Gefühl haben, dass ich endlich jemanden auf meiner Seite habe. Alleine dieses „Feedback“ spielt – wie ich denke – eine gewaltige psychotherapeutische Rolle. Sie werden fragen, was wenn der Psychoanalytiker seinen Sessel so platzieren würde, dass ich sein Gesicht doch sehen könnte? Aber es wäre wieder kein Gespräch „auf gleicher Augenhöhe“. Einander in die Augen schauen zu dürfen, das würde mir ein Gefühl der Gleichwertigkeit geben und dadurch helfen, mein Minderwertigkeitsgefühl (es liegt – wie ich denke – zugrunde von so gut wie allen Neurosen) zu bekämpfen und langsam „erwachsener“ zu werden. Geht es doch in der Psychoanalyse Großteil nicht darum, einem Patienten zu helfen, psychisch zu wachsen?
DWP: Ganz nach Bruno Bettelheim, der auf die Bedeutung vom Märchen hinwies. Verraten Sie uns Ihr Lieblingsmärchen? Und erkennen Sie Parallelen zur Entwicklung Ihres Lebens? Sophia Benedict: Märchen spielten in meinem Leben eine viel zu große Rolle. Meine Großmutter war eine begabte Märchenerzählerin, und sie war der beste Mensch in meinem Leben. Ihre Märchen waren voller Güte und Gerechtigkeit. Zu meinen Lieblingsmärchen gehörte Die schöne Wassilissa oder Die Froschprinzessin. Ich muss sagen, Wassilissa-Märchen liegen in der russischen Tradition, sie sind sehr beliebt bei allen Generationen. Sie spiegeln nicht nur die russische Seele, sondern auch die innige Rolle der Frau in der russischen Gesellschaft wieder. Interessant ist, dass dieses Märchen nicht endet – so wie es üblich ist – mit einer Hochzeit, sondern es beginnt damit. Also…
Ein König fordert seine drei Söhne auf zu heiraten. Sie sollen ihre Ehefrauen bestimmen, indem sie einen Pfeil abschießen: An der Stelle, wo der Pfeil zu Boden geht, werden sie ihre zukünftige Gattin finden. Die beiden älteren Söhne finden auf diese Weise ihre Frauen, der Pfeil des jüngsten Sohnes Ivan-Zarewitsch geht aber bei einem Frosch (in Russisch ist diese Nomen feminin) zu Boden. Der Junge ist sehr unglücklich, aber er muss den Frosch heiraten. Natürlich lachen ihn alle aus. Der König stellt bald seinen Schwiegertöchtern verschiedene Aufgaben wie Kleidung spinnen, Brot backen und Ähnliches. Der Frosch mithilfe seiner Zauberkräfte übertrifft bei allen Aufgaben die anderen Ehefrauen. Dennoch ist der jüngste Sohn beschämt über den Frosch an seiner Seite, und er ist total verzweifelt, als der Vater alle seine Schwiegertöchter zu einem Ball auffordert. Ivan-Zarewitsch weint bitter, aber seine Frosch-Ehefrau bittet ihn alleine zum Ball zu fahren und verspricht nachzukommen. Tatsächlich verwandelt sie sich plötzlich in eine Prinzessin und stellt sich am Ball als eine bezaubernde Tänzerin vor, so wird sie zur Lieblingsschwiegertochter des Königs. Dadurch entstehen natürlich Neid und Bosheit seitens der anderen Ehefrauen. Ivan-Zarewitsch ist von seiner Frau begeistert und er hat Angst, dass sie sich wieder in einen Frosch verwandelt, so läuft er heimlich nachhause und verbrennt ihre Froschhaut. Wenn Wassilissa das sieht, sagt sie: „Warum hast Du das gemacht, ich hätte nur noch drei Tage als Frosch verbringen müssen, dann wäre der böse Zauber vorbei gewesen und ich wäre für immer bei dir geblieben. Jetzt aber muss ich weg von hier, zu einem Zauberschloss mit dem bösen Zauberer“. Mit diesen Worten verschwindet sie. Dann kommt der zweite Teil des Märchens, in dem Ivan-Zarewitsch auf die Suche geht. Unterwegs versucht er einmal einen Hasen, dann eine Ente zu erschießen oder einen Hecht zu fangen, sie bitten ihn aber das nicht zu tun. Er hat Mitleid mit ihnen und geht immer wieder hungrig schlafen. Später kommen diese Tiere ihm zur Hilfe – ohne sie hätte er seine Ehefrau nicht zurückbekommen können. Was versteckt sich in diesem Märchen? Wie es oft in Märchen vorkommt, Abhängigkeit von den Eltern, dann Großwerden, eine scheinbar bescheidene Ehefrau, die teilweise die Rolle der Mutter übernimmt (typisch russisch!), dann muss auch der Ehemann zeigen, wozu er fähig ist. Er zeigt sich als ein mutiger Kämpfer, aber er ist auch fähig, seine eigenen Bedürfnisse (Hunger) hinter die Bedürfnisse von anderen zu stellen. Anziehend ist diese Solidarität zwischen Mensch und Tier (zwischen Groß und Klein?), und dann natürlich – ein Happyend als Trost! Parallelen zu Entwicklung meines Lebens? Ich muss zugeben, in meiner Kindheit musste ich einfach an Märchen glauben. Sie waren mir eine große psychische Hilfe, aber ich habe viel zu lange an sie geglaubt und ziemlich naiv daran geglaubt, dass alle Menschen prinzipiell gut sind, und wenn ich gut zu ihnen bin (zu den Hasen, Enten, Hechten…), werden sie mich auch mögen und auf meiner Seite stehen. Während der Psychoanalyse fragte mich einmal mein Psychoanalytiker: „Wieso glauben Sie, dass alle Menschen gut sind?“. Also, man muss schon rechtzeitig lernen, wo ein Märchen endet und wo das Leben beginnt. Man darf auch nicht vergessen, dass Märchen – wie allgemein die ganze Literatur, Kino oder Theater –eine sehr große erzieherische Rolle spielen. Nicht zufällig sagte Freud in einem seiner Briefe: „Die Worte der Dichter sind ja Taten“
DWP: Ich träume ... Sophia Benedict: Wovon ich träume? Ach, meine Träume sind ganz banal. Ich träume davon, meine Bücher unbeschwert weiter schreiben zu können, ohne dass ich Tausende andere triviale Sachen erledigen muss, um einfach weiter leben zu dürfen…
DWP: Was finden Sie an der Psychoanalyse gut bzw. besonders gut und gibt es etwas was Sie an ihr nicht mögen? Sophia Benedict: An der Psychoanalyse ist gar nichts schlecht oder falsch!
Was nicht gut ist, ist dass sie nicht vor Missbrauch geschützt ist. In bösen Händen wird sie nicht selten zur Waffe der Manipulation usw. Genauso gefährlich ist es, wenn sie in die Hände von dummen, unreifen Menschen fällt, die, zum Beispiel, aus den Erkenntnissen über Normalität der Ödipalen Liebe falsche Schlüsse ziehen und damit ihre eigenen kranken Triebe rechtfertigen, die dadurch für sie bewusst werden. Also, nicht immer darf das Unbewusste bewusst werden, weil leider nicht alle Menschen so etwas verkraften. Freud sagte seinerzeit: „Die meisten Menschen wollen die Freiheit nicht wirklich, weil Freiheit Annahme von Verantwortung bedeutet, die meisten Menschen zittern vor solcher Annahme“. Aber das war einmal. Ob heute Menschen an ihre Verantwortung denken? Das merkt man kaum. Heute sind sie von der Freiheit einfach berauscht. Manchmal frage ich mich sogar, ob die Priester der alten Welt wirklich im Unrecht waren, wenn sie das von Ihnen erworbenes Wissen ihren Mitbürgern nichts anvertraut haben. Wissen kann bekanntlich nicht nur dem Guten dienen, es kann auch missbraucht werden, wenn Sie verstehen, was ich meine.
DWP: Haben Sie ein Lieblingszitat von Freud? Sophia Benedict: Ich finde, jeder Gedanke von Freud ist viel wert. Ich könnte Dutzende seiner Zitate als meine Lieblingszitaten bezeichnen, ich bringe hier aber nur eines vor:
„Der Mensch, ob auch draußen erniedrigt, fühlt sich souverän in seiner eigenen Seele. Irgendwo im Kern seines Ichs hat er sich ein Aufsichtsorgan geschaffen, welches seine eigenen Regungen und Handlungen überwacht, ob sie mit seinen Anforderungen zusammenstimmen.“ Freud, S., Zeitgemäßes über Krieg und Tod.
DWP: Außer Sigmund Freud, gibt es Psychoanalytiker mit denen Sie sich auch gerne auseinandersetzen? Sophia Benedict: Freud meinte, die Absicht, dass der Mensch glücklich sei, war im Plan der Schöpfung nicht enthalten. Es ist aber in den Aufgaben der Psychoanalyse enthalten – Menschen zu helfen, psychisch gesund zu werden. Vor allem liegt es in den Aufgaben der psychoanalytischen Pädagogik. Da die Fundamente der zukünftigen Neurosen in der Kindheit zugrunde gelegt werden, ist es überaus wichtig, die Krankheit dort zu abzufangen, wo sie entsteht. Eine der Pionierinnen in diesem Gebiet war Anna Freud. Zwischen zeitgenössischen Spezialisten schätze ich sehr Sylvia Zwettler-Otte, Horst Petri und vor allem Helmuth Figdor mit seinem Konzept der psychoanalytisch-pädagogischen Erziehungsberatung; nach seiner Initiative wurde sogar die Ausbildung für die psychoanalytisch-pädagogischen ErziehungsberaterInnen gegründet. Ich muss zugeben, die Bücher von Helmuth Figdor haben mir ein neues Wissen beigebracht, das mir auch in meinem persönlichen Leben sehr geholfen hatte. Wenn ich nur all das gewusst hätte, als ich noch klein war!
Herzlichen Dank für dieses Gespräch, wir freuen uns bereits jetzt Alle auf Ihren Leitartikel!