IM GESPRĂ„CH MIT
Autor/in: DRAGICA STOJKOVIC / DWP
In unserer Interviewreihe "im Gespräch mit" stellen wir kurz die Autoren der Leitartikel vor.
Damit wollen wir unseren Usern die Möglichkeit geben, die Leitartikel auch aus einer anderen Perspektive heraus lesen zu können.
Diese Woche freuen wir uns ganz besonders
Dragica Stojković zu begrüßen:
geb. 1988, studierte Psychologie sowie Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Zürich und dissertierte zum Thema Abschiedsbriefe von Suizidenten. Sie ist praktizierende Analytikerin in einer Gemeinschaftspraxis in Zürich und befindet sich am Freud-Institut Zürich in Ausbildung. Breite redaktionelle Erfahrung (aware, delirium, Journal für Psychoanalyse, Psychoscope), zahlreiche Publikationen, aktuell Herausgeberin der internen Zeitschrift des Lacan-Seminar-Zürich, genannt „che vuoi?“. Forschungsinteressen: Abschiedsbriefe; Struktur, Prozess und Funktion von Wünschen und Träumen; Sprachtheorien und Poetologie.
DWP: Was brachte Sie zur Psychoanalyse? Dragica Stojković: Zur Psychoanalyse brachte mich der glückliche Umstand, dass ich an der Universität Zürich viele Seminare und Vorlesungen bei Frau Prof. Boothe besuchen konnte, die bis Januar 2013 den Lehrstuhl für Klinische Psychologie, Psychotherapie und Psychoanalyse innehielt. So hatte ich bereits während dem Psychologiestudium oft Gelegenheit, mich mit psychoanalytischem Gedankengut auseinanderzusetzen.
DWP: Wenn Sie die Gelegenheit zu einem Gespräch mit Sigmund Freud hätten, was würde wohl zum Thema werden? Gibt es konkrete Fragen? Dragica Stojković: Ich würde gerne zwei Texte von Maurice Blanchot – L’éspace litteraire und Le pas au-delà – mit ihm lesen und ihn fragen, was er davon hält. Und ich würde ihm gerne ein paar Gedanken von mir zum Todestrieb vorstellen – mit der Bitte um eine ehrliche Rückmeldung. Und, zu guter Letzt: Es wäre toll, wenn ich mich ein bisschen wie Lou Andreas-Salomé fühlen könnte, die Freuds volle Unterstützung und Bewunderung genießen durfte.
DWP: Stoff- oder Ledercouch? Dragica Stojković: Aktuell Ledercouch.
DWP: Ganz nach Bruno Bettelheim, der auf die Bedeutung vom Märchen hinwies. Verraten Sie uns Ihr Lieblingsmärchen? Und erkennen Sie Parallelen zur Entwicklung Ihres Lebens? Dragica Stojković: Blaubart ist mit Abstand mein Lieblingsmärchen. Das frisch verheirate Mädchen, durch den blauen Bart ihres Gattens konstant irritiert, hält sich nicht an sein Verbot – sie schließt mit dem goldenen Schlüssel die Kammer auf, die zu betreten er ihr verboten hat – und erschrickt über ihren Fund: Lauter Blut strömt aus der Kammer heraus, überall finden sich geschändete weibliche Leichname, Reste der ermordeten, ehemaligen Ehefrauen Blaubarts. Nur dank ihrer drei Brüder, die eilig zur Hilfe gekommen sind, schafft sie es, der lustvoll inszenierten Strafe Blaubarts und damit dem Tod zu entkommen. Blaubart wird getötet und sie kommt so in Besitz seines Reichtums, mit dem sie allerhand lebensdienliche Taten vollbringt.
Ehrlich gesagt habe ich mir noch nie überlegt, ob es Parallelen zwischen dem Blaubart-Märchen und meinem Leben gibt. Ich bin sicherlich jemand, der durch Neugierde angetrieben ist; Unheimliches irritiert mich, stößt mich aber nicht ab; und mit Vergnügen übertrete ich manche inneren Grenzen. Aber: Was, wenn das Märchen die Flucht eines vor Sexualität erschrockenen Mädchens zeigt? Was, wenn Blaubarts Messerwetzen und Morddrohungen für die Vorbereitung des sexuellen Akts stehen? Mädchen, da hast Du Dir was entgehen lassen, wäre so gesehen eine alternative Deutung des Märchens. Ich würde mich in letzterem Fall ungern mit der Märchenprotagonistin identifizieren: Von meinen Brüdern vor dem Eintritt in die Erwachsenensexualität ‚gerettet’ zu werden, ist nicht so eine tolle Fantasie. Diese Sorte von Regression – zurück nach Hause, wo es sicher ist – finde ich ziemlich unsexy und ich betrachte mich gerne als jemand, der mutiger ist, als unsere Märchenheldin.
DWP: Ich träume … Dragica Stojković: nicht nur nachts, sondern auch tagsüber, was mich manchmal leider ziemlich unproduktiv macht – aber solch wohlige Faulheit ist auch was Schönes. Am häufigsten und liebsten habe ich klassische Prinzessinnentagträume, in denen ich innerlich Hochzeitskleider perfektioniere, mir ein Haus ganz nach meinem Geschmack baue und einrichte (wohlgemerkt: bis ins letzte Detail) oder mir vorstelle, wie meine Kinder wohl sein werden/würden (und heimlich hoffe, dass sie der Schrecken aller ausgesprochen angepassten und leidenschaftslosen Lehrer werden).
DWP: Was finden Sie an der Psychoanalyse gut bzw. besonders gut und gibt es etwas was Sie an ihr nicht mögen? Dragica Stojković: Ich schätze an der Psychoanalyse, dass man sich mit ihr die Kapazität aneignet, genau hinzuhören und präzise zu denken. An Details hängenzubleiben, wie Flüchtigkeiten und Brüchen, und sich zu überlegen, wie diese in der psychischen Realität des Sprechenden eingebettet sind, was sie uns über dessen Funktionieren verraten. Dieser Prozess erinnert mich auch an lautes Lesen von Gedichten – eine Aktivität, die mir viel bedeutet. Ich mag an der Psychoanalyse auch, dass sie sehr breit gefächert ist: Sie kann eine Kulturtheorie sein, eine Theorie des psychischen Funktionierens, eine Theorie der Praxis und als solche auch eine Theorie der analytischen Technik. Das ist doch eine Potenz, in die man gerne hineinwächst!
Alles in allem schätze ich auch die Diversität der Psychoanalyse, die verschiedenen psychoanalytischen Schulen und Institutionen sowie deren Differenzen – man kann davon viel lernen, wenn man gewillt ist, sich verschiedene Ansichten ein und derselben Situationen zu Gemüte zu führen. Ich muss aber auch gestehen, dass ebendiese Diversität auch das ist, was mir an der Psychoanalyse auch die größte Mühe bereitet: Als werdender Psychoanalytiker befindet man sich in der professionellen Identitätsfindung; stellt sich die Frage, mit welchen Teilen des analytischen Corpus, der analytischen Gesellschaft man sich identifizieren möchte, wie man sich in der analytischen Welt positionieren will. In dieser fragilen Phase, aber auch später, teilt man die Psychoanalyse mit anderen Analytikern. Natürlich; jeder zieht seine ganz persönliche Psychoanalyse aus dem psychoanalytischen Diskurs und der eigenen analytischen Erfahrung; trotzdem erscheinen mir manche so entstandenen Interpretationen der Psychoanalyse als Angriff, als Schändung dessen, was mir so viel bedeutet. Und obwohl ich weiß, dass meine Ressentiments aus einem ideologischen Register stammen, dass sie im Grunde genommen dumm sind – ich besitze ja kein Patent für die Psychoanalyse –, verwickle ich mich oft genug in unnötige, destruktive Diskussionen und bin gleichzeitig überrascht zu sehen, wie leicht sich auch erfahrenere Analytiker in solche Diskussionen verwickeln lassen, die nirgendwo hinführen, weil es keine sachlichen Gedankenaustausche sind.
DWP: Welchen Herausforderungen mussten Sie sich während Ihrer analytischen Ausbildung stellen? Dragica Stojković: Ich bin noch in Ausbildung. Die größte Schwierigkeit ist inzwischen aber vorüber: Es war enorm anstrengend, meine Doktorarbeit (und andere wissenschaftliche Arbeiten) voranzutreiben und vor allem zu Ende zu bringen, parallel dazu klinisch zu arbeiten und den Einstieg in die Praxis zu vollbringen und daneben noch in die eigene Analyse zu gehen, die Supervisionssitzungen und Kursabende wahrzunehmen. Ich habe keine Ahnung mehr, wie ich gewisse Wochen überstanden habe. Am schwierigsten war, die nötige innere Ruhe und Wertschätzung für die jeweiligen Arbeiten aufzubringen. Es waren diese Momente des Frustrietseins, die mich besonders empfänglich für Klagelieder über den finanziellen, zeitlichen und emotionalen Aufwand der analytischen Ausbildung gemacht haben.
Ich glaube, dass ich nun weniger Vorbehalte gegenüber dem Aufwand der analytischen Ausbildung habe, weil es mir gelungen ist, den nötigen Freiraum zur Erfahrungsentfaltung der verschiedenen Sitzungen zu generieren und ich so stärker von der Ausbildung profitieren kann. Ich bin dankbar, dass dieser Prozess nun bei mir eingesetzt hat – natürlich gibt es immer noch genügend, worüber sich nörgeln lässt. Aber das ist normal und zudem oft genug recht amüsant.
DWP: Haben Sie ein Lieblingszitat von Freud? Dragica Stojković: „Psyche ist ausgedehnt, weiss nichts davon.“
Herzlichen Dank für dieses Gespräch, wir freuen uns bereits jetzt Alle auf Ihren Leitartikel!