IM GESPRÄCH MIT
Autor/in: Thomas Barth
In unserer Interviewreihe "im Gespräch mit" stellen wir kurz die Autoren der Leitartikel vor.
Damit wollen wir unseren Usern die Möglichkeit geben, die Leitartikel auch aus einer anderen Perspektive heraus lesen zu können.
Diese Woche freuen wir uns ganz besonders
Thomas Barth aus Wien, Österreich begrüßen zu dürfen:
Geboren 1965 in Wien.
Studium der Psychologie an der Universität Wien (1984-87) und Absolvent des Universitätslehrgangs für Werbung und Verkauf an der WU Wien 1989.
Abschluss der Ausbildung am Psychoanalytischen Seminar Innsbruck (PSI, 2010) und Promotion zum Doktor der Psychotherapiewissenschaft an der SFU Wien (2012). Ab 2017 Lehranalytiker (PSI/SFU) mit partieller Lehrbefugnis.
Tätigkeit in den Bereichen Musik (laufend) und New Media in Wien, Dänemark und New York. Seit 2007 Leitung des Gedächtnistrainings in der „Anne Kohn-Feuermann“ Tagesstätte des jüdischen Elternheims und ab 2011 Psychoanalytiker in eigener Praxis in Wien. Publikationen und Vortragstätigkeit zu den Themen Psychoanalyse, Musik und Cultural Studies.
DWP: Was brachte Sie zur Psychoanalyse?Thomas Barth: Einige Faktoren spielten hier zusammen: Mein Interesse an psychologischen Themen war – neben der Musik – seit meiner Kindheit vorhanden. Im Gymnasium in Tulln nahm ich 1982 in der 7. Klasse Psychologie und Philosophie als Wahlpflichtfach. Unsere Lehrerin förderte durch ihre Art, den Unterricht zu gestalten dieses Interesse weiter.
Dann studierte ich Mitte der 80er Jahre an der Universität Wien Psychologie mit Schwerpunkt Psychiatrie und hörte u.a. Vorlesungen von Erwin Ringel, Hans Strotzka, Harald Leupold-Löwenthal und Giselher Guttmann. Ich schloss zu diesem Zeitpunkt das Studium noch nicht ab, beschäftigte mich aber privat weiterhin mit psychoanalytischen Themen. Nach einigen Jahren in New York traf ich Professor Guttmann im Dezember 2005 in Wien wieder. Er erzählte mir u.a. von der damals neu gegründeten Sigmund Freud Privatuniversität (SFU), deren Dekan er damals war. Daraufhin schloss ich dort mein Studium (2009) und die psychoanalytische Ausbildung (2010, in Kooperation mit dem PSI, dem Psychoanalytischen Seminar Innsbruck) ab.
DWP: Wenn Sie die Gelegenheit zu einem Gespräch mit Sigmund Freud hätten, was würde wohl zum Thema werden. Gibt es konkrete Fragen?Thomas Barth: Es kommt darauf an, ob diese Begegnung im Jahr 2017 wäre. Es würde mich interessieren, was er denkt, was aus der Welt, die er – verglichen mit dem Wien um 1900 und danach – kennt, geworden ist: Strukturell, gesellschafts- und weltpolitisch. Wie sich aus seiner Sicht der Wiederholungszwang, die Wiederkehr des Verdrängten, in größeren zeitlichen Rhythmen und Bögen darstellt. Wie sich Störungsbilder und kulturelle Normen verändert haben. Auch wie er die Entwicklung der Psychoanalyse in der heutigen Zeit sieht, speziell in Verbindung mit Themen der geisteswissenschaftlichen Bildung, der Neurowissenschaften und der Biologie (z.B. Epigenetik) bzw. der Positionierung/Abgrenzung zur Medizin. Wenn ich an seinen Gedanken aus „Das Unbehagen in der Kultur“ denke, dass der Mensch sich (sinngemäß) zum „Prothesengott“ erhebt, der sich mit seinen „Hilfsorganen“ als „recht großartig“ erlebt (vgl. Freud 1930, GW Bd. XIV, S. 451), kann ich mir vorstellen, dass er sich durch einige technische Entwicklungen (z.B. Waffen, Internet, Handys, etc.) in seiner Zukunftsahnung bestätigt fühlen würde.
DWP: Stoff- oder Ledercouch?Thomas Barth: Stoff. Der Überwurf, den ich in meiner Praxis verwende, war ein glücklicher Fund. Neben funktionalen und ästhetischen Kriterien und dem Zitat der Freud’schen Tradition sollte die Couch vor allem ein bequemes Möbel sein und ein Gefühl der Entspannung fördern. Noch wichtiger als das Material oder das Aussehen ist aber der jeweilige Mensch, der sich auf sie legt. Nicht der Bezug (die Oberfläche), sondern die Qualität der Beziehung und deren tiefere Schichten ist hier meiner Ansicht nach das Wesentliche.
DWP: Ganz nach Bruno Bettelheim, der auf die Bedeutung vom Märchen hinwies. Verraten Sie uns Ihr Lieblingsmärchen? Und erkennen Sie Parallelen zur Entwicklung Ihres Lebens? Thomas Barth: „Der kleine Prinz“ von Antoine de Saint Exupéry. Ich hörte davon zum ersten Mal im Alter von ca. 16 Jahren im Rahmen einer Schulveranstaltung.
Jede der einzelnen Episoden und Metaphern steht für etwas: Suche nach Verbundenheit, Absurditäten menschlichen Treibens, Raum und Zeit, Tod, Verinnerlichung. Das Fremde und Vertraute, die Wanderschaft, der Dialog und die Fähigkeit, subjektiven Wert und Bedeutung in vermeintlich kleinen Dingen im Leben zu erkennen. Parallelen zu meinem Leben gab und gibt es einige.
Auch aus analytischer Perspektive ist „Der kleine Prinz“ bemerkenswert: z.B. die Episode mit dem Fuchs in Verbindung mit der Bindungstheorie oder diejenige mit dem Alkoholiker in Verbindung mit der Psychodynamik des Suchtkreislaufes, die Beschreibung der Berufe, Menschentypen und Lebenswege bzw. der Entwicklungsaspekt des Menschen: das Kind im Erwachsenen bzw. der Erwachsene im Kind.
DWP: Ich träume…..Thomas Barth: … und versuche das, woran ich mich erinnern kann, zu verstehen bzw. zu Dingen, die mich beschäftigen, in Beziehung zu setzen. Manchmal gelingt das. Vor kurzem war es eine musikalische Phrase, die ich gleich nach dem Aufwachen notierte. Der Mechanismus des Vergessens arbeitet aber so schnell, dass ein Trauminhalt oft wie ein Fisch ist, der kurz sichtbar wird, aber schnell wieder weghuscht. Vielleicht taucht er aber woanders wieder auf …
DWP: Was finden Sie an der Psychoanalyse gut bzw. gibt es etwas was Sie an ihr nicht mögen?Thomas Barth: Für mich ist es schwierig, von "der Psychoanalyse“ zu sprechen, da sie mittlerweile so ein großes, faszinierendes und heterogenes Gebiet bildet, von der ich nur mehr oder weniger begrenzte Bereiche überschauen kann. Ich finde es grundsätzlich sehr wertvoll, dass sich all diese Verschiedenheiten unter dem gemeinsamen Begriff der Psychoanalyse vereinbaren lassen.
Gleichzeitig fällt mir auf, dass es gerade auf psychologischem Gebiet oft zu sehr vielen Spaltungen kommt, und dabei oft das Trennende vor dem Gemeinsamen zu stehen scheint. Kontroversen wie die Konflikte zwischen Freud, Adler und Jung, später Anna Freud versus Melanie Klein, auch unter deren Anhängerschaften bilden Beispiele dafür. Wenn die Seele metaphorisch „ein weites Land“ (Schnitzler) ist, dann sollte auch Raum für mehrere Zugänge und Deutungsebenen sein, die koexistieren können. Dogmatismus würde den Blick einschränken und eines der Merkmale der Psychoanalyse – die diskursive Art, auf mehreren Ebenen reflektieren zu können – darunter leiden.
Ich würde mir hier mehr Integration unter Beibehaltung der jeweiligen Eigenheiten wünschen. Auch vor allem deswegen, weil die Psychoanalyse so wie andere Methoden ja auch in die Richtung arbeitet, anstelle von Spaltungen integrative Prozesse zu begünstigen.
Meiner Ansicht nach ist die psychoanalytische Methode immer so gut oder so schlecht, wie sie von einer jeweiligen Person gerade ausgeübt wird. Gehen wir verantwortungsvoll und professionell mit der Anwendung der Theorien in der Praxis um, oder fügen wir den anderen Menschen – entgegen dem hippokratischen Prinzip – damit mehr Schaden als Nutzen zu? Dies sind Fragen, die konstant im Auge zu behalten sind.
DWP: Welchen Herausforderungen mussten Sie sich während Ihrer analytischen Ausbildung stellen?Thomas Barth: Ich habe es so erlebt: Viel Zeit, Geld, Energie investiert, viel Arbeit neben bestehenden beruflichen und persönlichen Verpflichtungen geleistet, Themen, die Unwohlsein auslösen, bearbeitet - gleichzeitig bestand aber auch die Motivation und das Interesse, etwas wissen zu wollen, weiter zu lernen, mich als Person weiter zu entwickeln und dies alles beruflich gemeinsam mit anderen Menschen möglichst sinnvoll anzuwenden. Auch war ich schon an die 40, als ich die psychoanalytische und akademische Ausbildung 2005 wieder weiterführte, d.h. in manchen Bereichen entwickelter als mit 20.
DWP: Haben Sie ein Lieblingszitat von Freud?Thomas Barth: Da gibt es einige. Eines davon möchte ich hier auswählen: Freuds Hinweis, dass das Wahrscheinliche nicht das Wahre bedeuten muss. Dieses Zitat finde ich gerade deswegen so aktuell, weil es auch den oft schmalen Grat zwischen Realitätsprüfung und Allmachtsphantasien beschreibt, deren Differenzierbarkeit voneinander gerade im Jahr 2017 (Stichwort „Alternative Facts“) so wichtig geworden ist.
„Keine noch so verführerische Wahrscheinlichkeit schütze vor Irrtum; selbst wenn alle Teile eines Problems sich einzuordnen scheinen wie die Stücke eines Zusammenlegspieles, müßte man daran denken, daß das Wahrscheinliche nicht notwendig das Wahre sei und die Wahrheit nicht immer wahrscheinlich“
(Der Mann Moses und die monotheistische Religion, 1939. GW XVI, S. 114 f.).
DWP: Außer Sigmund Freud, gibt es Psychoanalytiker mit denen Sie sich auch gerne auseinandersetzen?Thomas Barth: Ja, neben den AnalytikerInnen der ersten Generation sind es u.a. Wilfred Bion, Jerome Blackman, Georges Devereux, Erik Erikson, Peter Fonagy, Eric Kandel, Otto Kernberg, Mark Solms und Nancy Mc Williams. Sie haben das monumentale Gebäude Freuds noch zusätzlich erweitert und bereichert.
Herzlichen Dank für dieses Gespräch, wir freuen uns bereits jetzt Alle auf Ihren Leitartikel!
Kontaktdaten des Autors:
Thomas Barth