IM GESPRĂ„CH MIT
Autor/in: FRANK SCHUMANN / DWP
In unserer Interviewreihe "im Gespräch mit" stellen wir kurz die Autoren der Leitartikel vor. Damit wollen wir unseren Usern die Möglichkeit geben, die Leitartikel auch aus einer anderen Perspektive heraus lesen zu können.
Diese Woche freuen wir uns ganz besonders
Frank Schumann aus Berlin, Deutschland zu begrüßen.
Er studierte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena Soziologie, Psychologie und Philosophie, und schloss mit einer Arbeit zum Subjektbegriff in Freuds Schriften ab. Im Jahr 2017 promovierte er in Soziologie bei Hartmut Rosa; seine Dissertation ist 2018 im transcript-Verlag unter dem Titel „Leiden und Gesellschaft. Psychoanalyse in der Gesellschaftskritik der Frankfurter Schule“ erschienen.
Seit 2017 ist Frank Schumann wissenschaftlicher Mitarbeiter im Arbeitsbereich psychoanalytische Sozialpsychologie und Sozialpsychiatrie der International Psychoanalytic University in Berlin (IPU Berlin), wo er schwerpunktmäßig zu sozialen Bewegungen, normativen Dimensionen von Gesellschaftskritik, Vorurteilsforschung sowie politischer Psychologie und Soziologie arbeitet. Aktuell ist er außerdem Fellow am Center for Humanities and Social Change (CHSC) an der Humboldt-Universität zu Berlin.
DWP: Was brachte Sie zur Psychoanalyse?Frank Schumann: Zur Psychoanalyse gekommen bin ich während meines Studiums der Soziologie, Philosophie und Psychologie, als ich auf der Suche nach Ansätzen war, die helfen, menschliches Zusammenleben in seinen weniger rationalen und in seinen konfliktreicheren Aspekten zu verstehen. Die Psychoanalyse schien das, neben einigen anderen Theorien, zu erfüllen.
DWP: Was fasziniert Sie an der Psychoanalyse besonders?Frank Schumann: Was mich besonders fasziniert hat und noch fasziniert, ist, dass es – meines Erachtens – nur vordergründig ausschließlich um psychische Prozesse geht. Denn schon bei Freud vollziehen sich die psychischen Konflikte vor dem Hintergrund eines allgemeineren kulturellen oder gesellschaftlichen Horizonts. Individuelle, psychische Dynamiken umfassen zugleich so etwas wie eine „conditio humana“ – auch wenn man diese wiederum sozialtheoretisch qualifizieren muss.
DWP: Welche Rolle spielt die Psychoanalyse als Therapieform für Sie, haben Sie einen Bezug dazu?Frank Schumann: Ich kenne die psychoanalytische Therapie vor allem aus meiner theoretischen Beschäftigung, wobei mich hier wiederum vorwiegend Freuds Schriften geprägt haben. Wenn man sich die Mühe macht und Freud chronologisch liest, auch die technischen Schriften nicht ausspart, ergibt sich das Bild einer lebendigen und in der Entwicklung begriffenen Disziplin, die damals aus der praktischen Beschäftigung mit therapeutischen Problemen hervorgegangen ist. Man kann Freud fast schon zusehen, wie er die neurotische Symptomatik stets mit neuen Überlegungen zu fassen sucht und wie er nach und nach eine immer komplexere Theorie der Psyche entwickelt. Dabei hat sich bei mir die Überzeugung herausgebildet, dass psychoanalytische Konzepte ohne die therapeutische Situation nicht angemessen zu verstehen sind. Die Therapie ist sozusagen der Erfahrungsraum der Psychoanalyse; und in diesem Raum erfährt sie schließlich auch Soziales oder Gesellschaftliches. Wenn auf psychoanalytische Begriffe außerhalb der Psychoanalyse zurückgegriffen wird, so scheint mir der Therapiebezug oft ausgeblendet zu werden – weswegen mich die Frage beschäftigt, wie dieser auch in interdisziplinärer Arbeit wieder eingeholt werden kann.
DWP: Wenn Sie die Gelegenheit zu einem Gespräch mit Sigmund Freud hätten, was würde wohl zum Thema werden? Gibt es konkrete Fragen?Frank Schumann: Konkrete Fragen gibt es eigentlich kaum; was mich aber interessieren würde, ist, aus welchen Gründen Freud zwar von Kultur aber nie von Gesellschaft spricht. Darüber wurden zwar schon Mutmaßungen angestellt. Ein Gespräch wäre dennoch äußerst spannend.
DWP: Stoff- oder Ledercouch?Frank Schumann: Stoffcouch – sie fühlt sich angenehmer an und macht, ganz profan, weniger Geräusche, wenn man sich auf ihr bewegt.
DWP: Bruno Bettelheim wies auf die Bedeutung von Märchen im Kindesalter hin. Verraten Sie uns Ihr Lieblingsmärchen? Und erkennen Sie Parallelen zur Entwicklung Ihres Lebens?Frank Schumann: Ich habe zwar als Kind viele Märchen vorgelesen bekommen, auch weniger kanonisierte, die nicht in der Märchensammlung der Gebrüder Grimm enthalten sind. Aber seltsamerweise kann ich mich nur an die Grimm’schen Märchen erinnern. Von denen – würde ich spontan sagen – kommt mir aber keines in den Sinn, das ich als Lieblingsmärchen bezeichnen würde.
DWP: Ich träume, …Frank Schumann: …in letzter Zeit leider zu wenig.
DWP: Welchen Beitrag kann die Psychoanalyse heute leisten bzw. leistet sie für Sie? Hat sie Grenzen?Frank Schumann: Als Therapieform kann sie, trotz der veränderten Umstände, wohl noch ähnliches leisten wie vor 100 Jahren. Gerade der längerfristige, gesprächs- und konfliktorientierte Ansatz ist meines Erachtens so aktuell wie damals. Wenn man jedoch in der Psychoanalyse mehr sieht als bloß eine Behandlungsmethode, so liegt hier (leider) aber auch ihre Grenze: Mir scheint, dass Psychoanalyse inzwischen hauptsächlich als Behandlungsmethode in Erscheinung tritt und darüber hinaus nicht mehr die Faszination und Anregung erzeugt, die sie noch im 20. Jahrhundert zu entfalten vermochte.
DWP: Was finden Sie an der Psychoanalyse gut bzw. sehen Sie auch Gefahren, die von Ihr ausgehen können?Frank Schumann: In der Psychoanalyse, so wie sie mir bei Freud begegnet, steckt auch ein ethisches Postulat – nämlich: Durch die Reflexion auf die Bedingungen des eigenen Gewordenseins eine gewisse, wenn auch beschränkte Autonomie in der eigenen Lebensführung zu erlangen. Insofern kann man sie auch als Selbstkritik – in Anlehnung an Kants Kritikverständnis gewissermaßen als Selbstanalyse – und damit als Selbstaufklärung verstehen.
Gefahr ist vielleicht ein starkes Wort, aber manchmal stört mich etwas, das man vor allem in populären Darstellungen der Psychoanalyse findet und das man wohl als Vorurteil der Tiefe bezeichnen könnte. Damit meine ich die Annahme, dass etwas, weil es verborgen ist, auch wahrer sein muss als das vermeintlich an der Oberfläche liegende. Das blendet aus, dass das Alltägliche und das Offensichtliche oft nur scheinbar auch das Selbstverständliche sind. Ganz zu schweigen davon, dass die Fokussierung auf das Tiefe und Verborgene eher mystische Assoziationen weckt, die ich im Zusammenhang mit einem therapeutischen Verfahren, das in einer asymmetrische Zweierinteraktion besteht, eher problematisch finde.
DWP: Verraten Sie uns ihr Lieblingszitat? Von Freud, oder einem anderen Psychoanalytiker?Frank Schumann: Es ist schwer, ein einzelnes Zitat herauszuheben. Aber spannend finde ich vor allem einen Gedanken, den Freud früh schon – in den Studien über Hysterie – zum Ausdruck brachte, als er sein Verfahren gegen einen imaginären Zweifler zu verteidigen sucht. Diesen lässt er eine Frage stellen, die er sogleich beantwortet:
„Sie sagen ja selbst, daß mein Leiden wahrscheinlich mit meinen Verhältnissen und Schicksalen zusammenhängt: daran können Sie ja nichts ändern; auf welche Weise wollen sie mir denn helfen? Ich zweifle ja nicht, daß es dem Schicksale leichter fallen müßte als mir, Ihr Leiden zu beheben: aber Sie werden sich überzeugen, daß viel damit gewonnen ist, wenn es uns gelingt, Ihr hysterisches Elend in gemeines Unglück zu verwandeln. Gegen das letztere werden Sie sich mit einem wiedergenesenen Seelenleben besser zur Wehre setzen können.“Herzlichen Dank für dieses Gespräch, wir freuen uns bereits jetzt Alle auf Ihren Leitartikel!