Das Freud/Tiffany Projekt (Teil I)
Autor/in: Elizabeth Ann Danto
Wie so viele New Yorker Geschichten entstand auch das Freud / Tiffany Projekt aus einer zufälligen Begegnung im Metropolitan Museum of Art. Vor ungefähr sechs Jahren traf ich Michael Burlingham, den Enkel von Dorothy Tiffany Burlingham, als er gerade angefangen hatte, die Gegenstände und Dokumente im Nachlass seines Vaters zu inventarisieren. Wir reden hier von Bob Burlingham, dem ältesten Sohn von Dorothy. Als Jugendlicher hatte Bob hunderte Fotos gemacht und die Zelluloidstreifen seiner Foto- und Filmnegative horizontal in ein Album gelegt.
Die Fotos zeigten den Tagesrhythmus von Schülern und Lehrern an der modernen Wiener Schule Hietzing (Fig. 1). Auf einigen kann man auch Anna Freud, Erik Erikson und Peter Blos erkennen, da diese die ersten Lehrer der Schule waren. Bob und seine Geschwister waren von 1927 bis zu ihrer Auflösung im Jahr 1932 Schüler an der Schule Hietzing, die scherzhaft auch die „Streichholzschachtel [Matchbox School] Schule“ genannt wurde bzw. manchmal auch die Burlingham / Rosenfeld Schule benannt nach ihrem Gastgeber. Interessanterweise hat die Schließung der Schule tiefe Spuren hinterlassen: Sie hat ein ganzes Feld psychoanalytisch informierter Bildung hervorgebracht und eine Reihe von Programmen in Europa und den USA (wie dem Pioneer House in Detroit) inspiriert, die oft von Wiener Exilanten besetzt waren. Die Tradition der psychoanalytischen Pädagogik setzt sich bis heute fort
[Barrett, D. G. (2018) So You Want to Start a Psychoanalytic School? Succumbing to An Almost “Irresistible Temptation” The Psychoanalytic Study of The Child, 71/ 1, 201–204]: Die Alliance for Psychoanalytic Schools zählt die Hana Perkins School in Cleveland, die Studio School in New York und die Lucy Daniels School in Cary, NC und viele mehr zu ihren Mitgliedern.
Zurück in Michael Burlinghams Atelier in der Prince Street, durchforstete ich gerade die neu gescannten Fotos, als Michael sagte: „Schau mal, hier sind ein paar von Freud.“ Darauf antwortete ich verblüfft: „Wir müssen diese ausstellen.“ Diese Fotografien bildete schließlich den Kern des 5-teiligen, internationalen Freud / Tiffany Projekts, dessen Hauptthemen aus der schriftlichen, mündlichen und visuellen Geschichte der Schule von Anna Freud und Dorothy Tiffany Burlingham (Fig. 2), sowie der Psychoanalyse im Wien der 1920er Jahre hervorgingen. Für die kuratorische Methodik folgten wir Barbara Kirshenblatt-Gimblett, die uns dazu drängte, die Geschichte von den Quellen erzählen zu lassen. Die Memoiren, Briefe, Tagebücher und Autobiografien zeigen ihre Bedeutung, indem sie gesammelt und ausgestellt werden.
Carol Seigel, die unternehmerische Direktorin des Freud Museum London, schloss sich letztendlich unserer Vision für die Ausstellung mit dem Titel
Anna Freud, Dorothy Tiffany Burlingham und die "Best Possible School [Die bestmöglichsten Schulen]" an und präsentierte unseren Vorschlag im März 2015 zur Billigung durch die Treuhänder. Meine Wiener Kollegin Alexandra Steiner-Strauss sagte zu diesem Zeitpunkt: "Ich denke, wir sollten nach London gehen." Nach zwei Jahren Recherche und Planung, 6 Reisen nach London von Wien, 2 weiteren zur Library of Congress in DC und mehreren nach New York, wurde die Ausstellung im Mai 2017 von Dr. Martin Eichtinger, dem österreichischen Botschafter in Großbritannien, offiziell eröffnet. Bis zu diesem Tag haben Alexandra und ich mit zahlreichen Kreditgebern in Europa und den USA zusammengearbeitet; um Finanzierung in Österreich, Amerika und Großbritannien zu erhalten; und bauten dabei ein enthusiastisches Netzwerk von euro-amerikanischen Gelehrten auf, die an fast jeder Phase des Projekts teilgenommen haben. Wir haben auch einen Katalog geschrieben und ein eintägiges internationales Symposium organisiert, welches im Anna Freud Center in London veranstaltet wurde. Neben den historischen Stücken, die durch verschiedene Medien gezeigt wurden, wurden den Aufzeichnungen dieses Symposiums weitere Fotografien und Originalobjekte hinzugefügt, um ein illustriertes Buch mit Erinnerungen und Geschichte zu produzieren, das kürzlich von Routledge in der (ehemals Karnac)
History of Psychoanalysis Series veröffentlicht wurde. Das letzte Element des Projekts ist der 15-minütige Film mit dem Titel
"Anna Freud and the ‘Conscience of Society.’[Anna Freud und Das Gewissen der Gesellschaft]".
Die AusstellungDas Freud Museum in 20 Maresfield Gardens ist ein eindrucksvoller Ort. Ein Jahr nach seinem Exil aus Wien starb Sigmund Freud in diesem Haus, und das ganze Areal ist von einer andächtigen Stille erfüllt. Besucher werden zu Zeugen seines Lebensendes, während sie gleichzeitig von Annas und Dorothys Geschichten berührt werden, die dort über vierzig weitere Jahre gelebt hatten. Im Mai 2017 wurde ein lebhaftes Bild der beiden Frauen, aus einem Film von Bob Burlingham, zur visuellen Signatur der Ausstellung. Besucher, die links vom Eingang des Museums die Treppe hinaufgingen, wurden von Porträts aus der Mitte der 1920er Jahre von Anna und Dorothy begrüßt, die auf dem Höhepunkt der Wiener Moderne in Architektur, Philosophie und Musik das versuchten zu schafften, was Erik Erikson als "die bestmögliche Schule" bezeichnet hatte.
Beim Betreten des Ausstellungsraums, oben beim Treppenaufgang im 2. Stock, sieht der Besucher zuerst die Burlingham-Serie von Sigmund Freuds Fotografien (Fig. 3) und liest Freuds eindeutige Herausforderung: „Was wäre, wenn Bildung die Menschen dabei unterstützen würde, ihre grundlegende Energie aufrechtzuerhalten und gleichzeitig zur Gesellschaft beizutragen?” 1927 antworteten Anna und Dorothy, indem sie eine nach „psychoanalytischen Grundsätzen organisierte Schule“ gründeten. Eine Vitrine zeigt das Eva Rosenfeld-Album mit Hietzing-Fotos von 1929 zusammen mit einem auffallenden, wenn auch wenig bekannten, Engelman-Album. Die Seite mit dem Titel "Rotes Wien in den 1920er Jahren - ein Labor für Demokratie" kontextualisiert das Aufkommen der psychoanalytischen Pädagogik: mit Sozialdemokratie als zentralem Kern. Die außergewöhnliche Expansion der Stadt in Bezug auf soziale Wohlfahrt und kulturelle Einrichtungen sieht man in 25 gerahmten Bildern von Gemeinschaftsgebäuden, öffentlichen Gesundheitsprogrammen, Psychoanalyse und Bildung.
Auf der rechten Seite ist eine eingebaute, beleuchtete Vitrine in vier Abschnitte unterteilt: die Schule, die Schüler und Lehrer, das Curriculum und das Studium sowie die Folgen von Hietzing. Vergrößerte Fotocollagen der Lehrer und Schüler von Hietzing säumen die Innenwände, mit Objekten und Ephemera in den Glasregalen: August Aichhorns Unterrichtsplan und sein Brief an Peter Blos, den Siegelring, den Bob Burlingham von Freud bekommen hat und von Montessori inspirierte Spielzeuge, die Anna Freud aus Wien mitgebracht hatte - weitere Fotos, Szenen aus dem Stadtleben sowie Portraits von Fritz Redl, umringt von den Pionier Hauslehrern, Anna und Dorothy mit Familien aus den War Nurseries, und der charmanten Kyra Nijinsky, selbst eine Hietzing-Schülerin, die einen aus ihrem reich verzierten Rahmen entgegenlächelt. Aber die Substanz von
Anna Freud, Dorothy Tiffany Burlingham und „der bestmöglichen Schule" ist die transformative Begegnung von Psychoanalyse und Erziehung, die von den Schöpfern der Hietzing School angeregt, und von der Zwischenkriegszeit und ihren Möglichkeiten umrahmt wird.