Brexit Q&A mit Susie Orbach
Autor/in: Susie Orbach / Sabrina Zehetner (DWP)
Danke, dass Sie der psychoanalytischen Gemeinschaft außerhalb Großbritanniens die Möglichkeit geben, Fragen zu Brexit zu stellen - ein Thema, dass viele Menschen, und besonders europäische Mitbürger, aus der ganzen Welt mit großem Interesse verfolgen.
Die Entscheidung Großbritanniens die EU zu verlassen sorgte für große Überraschung bei vielen Europäern. Hat das Ergebnis des Referendums auch die Briten überrascht?Susie Orbach: Ja ich denke das Ergebnis war für beide Seiten eine große Überraschung. Mit Sicherheit hatte Cameron nicht damit gerechnet zu verlieren, als er das Referendum ausrief, um sein rechtes Lager zu besänftigen. Die überraschten Gesichter von Johnson und Gove sprachen Bände.
Wie würden Sie die den Status Quo der Britischen Identität/Selbstbild beschreiben, und wie möchte Großbritannien vom Rest der Welt gesehen werden? Kann die Psychoanalyse helfen, die Identität (bzw. Identitätskrise) einer Nation besser zu verstehen?Susie Orbach: Ich denken, das Problem ist, dass es keine einheitliche Identität gibt. Identitäten bezüglich Klasse, Rasse, Religion, Alter und Ethnizität stehen im Wettbewerb miteinander. Ich denke, dass die Brexit-Befürworter stark erscheinen wollen, aber in Wirklichkeit sind wir eine Lachnummer. Heutzutage tendieren wir dazu, uns abzuspalten, wenn wir auf Schwierigkeiten stoßen. Komplexität wird zu binärem Denken in Kategorien von Gut und Böse, und die Psychoanalyse hat offensichtlich viel über diese Mechanismen zu berichten.
Denken Sie, dass Brexit zum Teil das Ergebnis einer Massenhysterie ist, die von einer kleinen Gruppe Populisten ausgelöst wurde?Susie Orbach: Würde ich es als Massenhysterie bezeichnen? NEIN. Ich denke nicht, dass es eine war. Verlogenheit und politischer Unfug führten zu Ausgrenzung und Rassismus.
Warum ist Großbritanniens Beziehung mit Kontinentaleuropa noch immer voller Ambiguität?Susie Orbach: In Großbritannien hat es nie einen post-imperialistischen, sozialdemokratischen Moment gegeben. Es gab Versuche, aber die Beziehung zu Europa ist opportunistisch. Man erinnert sich gerne an das goldene Zeitalter, als wir die Welt beherrschten. Gleichzeitig erinnerten uns Thatcher und Cameron immer wieder daran, wie wir Europa bekämpften. Das ist eine eigentümliche Art der Kooperation in einer ökonomischen und sozialen Union. Ein Kommentator, Anthony Barnett, meinte dazu, dass das Vereinigte Königreich die EU als Weg sah, Macht zurückzuerlangen, und sich nicht als Teil der EU betrachtete.
Mehrere Kommentatoren haben den Vergleich mit Hans Christian Andersens „Des Kaisers neue Kleider“ gezogen – Würden Sie dieser Einschätzung zustimmen?Susie Orbach: Das würde ich nicht vergleichen.
Kann die Verweigerung eines zweiten Referendums als Trotzreaktion interpretiert werden, eine eher emotionale als rationale Reaktion?Susie Orbach: Ich habe keine Erklärung dafür, weshalb es für unsere politischen Führungskräfte so schwer ist, die notwendige Führung zu übernehmen und ein zweites Referendum zu fordern, das meiner Meinung nach viel Sinn ergeben würde. Sie wirken schwach und verängstigt.
Was wird passieren, wenn die Brexit Scheidungspapiere unterschrieben sind und die EU als Feindbild verschwindet?Susie Orbach: Eine gute Frage. Die traurige Antwort liegt in einer Trennung basierend auf Rasse und Ethnizität in Großbritannien.
Wird Brexit in der psychoanalytischen Community in Großbritannien diskutiert?Susie Orbach: Ja im letzten Monat gab ein Tavistock-Treffen zu dem Thema.
Haben sich die Sorgen ihrer Patienten geändert, jetzt, wo ein Ende der Scheidung in Aussicht steht? Mit welchen psychischen Belastungen werden die Menschen nach dem Brexit zu kämpfen haben?Susie Orbach: Der Fokus auf Gefühlszustände wurde in vielen seiner (Freud) Schriften entwickelt und erschuf eine Verbindung zwischen klassischen Triebtheorien und Objektrelationstheorien. Bezüglich der Technik betonte er die Wichtigkeit des Zulassens des psychoanalytischen Prozesses, ohne die Übertragung voreilig positiv oder negativ zu interpretieren, und auf eine Art und Weise, die ihre Entfaltung stören könnte. Sandler entwickelte langsam eine Theorie zu einer Technik, die einen tiefgreifenden Einfluss auf alle Gruppen in der Britischen Gesellschaft hatte. Er betonte die Wichtigkeit, seinen Patienten eine ausgewogene Interpretation zu geben, die beide Aspekte ihrer Konflikte miteinbezogen.
Dr. Susie Orbach ist Psychoanalytikerin und Psychotherapeutin in eigener Praxis, die Einzelpersonen und Paare besuchen und die auch Organisationen berät. In 1976 war sie Mitbegründerin des
Women´s Therapy Center in London und 1981 des
Women´s Therapy Center in New York City. Zehn Jahre lang war sie als Gastprofessorin für Psychoanalyse und Sozialpolitik an der London
School of Economics and Political Science an der University of London tätig. Sie erhielt zahlreiche Ehrendoktorwürden und hat in Australien, Neuseeland, Nordamerika, Europa, Brasilien, Peru, Indien und China gelehrt und betreut.