IM GESPRÄCH MIT
Autor/in: PETRA ROSCHECK / DWP (TVP)
In unserer Interviewreihe "im Gespräch mit" stellen wir kurz die Autoren der Leitartikel vor. Damit wollen wir unseren Usern die Möglichkeit geben, die Leitartikel auch aus einer anderen Perspektive heraus lesen zu können.
Diese Woche freuen wir uns ganz besonders
Petra Roscheck aus Wien, Österreich zu begrüßen.
Psychoanalytikerin / Psychotherapeutin in Ausbildung unter Supervision
Ausbildung Studium der Psychotherapiewissenschaft an der Sigmund Freud Privatuniversität, Wien
Bachelor of Arts an der Universität Wien in Theater-, Film- und Medienwissenschaft
Filmmaking-Diplom an der New York Filmacademy, New York
Psychosoziale / psychotherapeutische Tätigkeitenaktuell Psychotherapeutin i.A.u.S. in freier Praxis, 1010 Wien
bis 2018 Psychotherapeutin i.A.u.S. an der Sigmund Freud Universitätsambulanz für Erwachsene, 1010 Wien
Klinik Menterschwaige, Fachklinik für stationäre Psychotherapie, Psychiatrie und Psychoanalyse, München
Clara-Fey-Wohnen, Betreutes Wohnen für Kinder und Jugendliche, 1190 Wien
Pilotprojekt "Anti-Adipositas" für Kinder und Jugendliche der WGKK, Gesundheitszentrum Wien-Nord
Vortrag bei der Jahrestagung der Organisation der Ärztinnen Österreichs zum Thema "Schönheit & Scham"
Mitarbeit an der Initiative "We like EveryBody" des Wiener Programms für Frauengesundheit
Dokumentarfilm "90-60-90. Essen. Brechen. Weiterlächeln." Neue Sentimental Film, Puls4
Mitglied beim VÖPP - Vereinigung Österreichischer Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten
DWP: Was brachte Sie zur Psychoanalyse?Petra Roscheck: Es war die Lust, den ‚Dingen’ auf den Grund zu gehen und unter die Oberfläche zu blicken, die mich zur Psychoanalyse getrieben hat und dort hält. Abgesehen von der lustvollen Besetzung der psychoanalytischen Tätigkeit, war es auch meine persönliche Geschichte, die mich zu diesem Beruf gebracht hat. Ich wuchs in einer eher rauen Gegend auf, in der transgenerationale Traumata eine große Rolle spielen, die sich als irritierende Leerstellen in einer rätselhaften Atmosphäre niederschrieben. Als Kind beobachtete ich mein Umfeld sehr genau und versuchte mir einen Reim auf die vielen Paradoxa zu machen. Die Antworten auf meine Fragen sollte ich erst viele Jahre später in meinem Studium der Psychotherapiewissenschaft und meiner Lehranalyse finden.
DWP: Was fasziniert Sie an der Psychoanalyse besonders?Petra Roscheck: Allem voran fasziniert mich die Vorstellung von unbewussten, dynamischen Prozessen, die unser Leben steuern. Ebenso spannend sind die Instrumentarien, die die psychoanalytische Behandlungstechnik bietet, um das Unbewusste zumindest ansatzweise zu erfassen sowie die Tatsache, dass die Psychoanalyse neben einer psychotherapeutischen Behandlungsform eine Kulturtheorie ist.
DWP: Welchen Herausforderungen mussten Sie sich während Ihrer analytischen Ausbildung stellen?Petra Roscheck: Ich denke, dass die gesamte Ausbildung eine einzige Herausforderung ist, weil dadurch kein Stein auf dem anderen bleibt. Man braucht schon eine gewisse Wahrheitsliebe, denn der Blick in den Spiegel im Rahmen einer Analyse ist nicht immer nur schmeichelnd. Dort gilt es, auch regressive Anteile zuzulassen. Das erfordert Mut und Vertrauen in den psychoanalytischen Prozess und die behandelnde Person. Deswegen ist es wichtig, einen Analytiker oder eine Analytikerin zu haben, die einen empathisch unterstützen, aber auch konfrontieren und fordern kann. Letztendlich soll die Analyse ja in die Autonomie führen.
DWP: Wenn Sie die Gelegenheit zu einem Gespräch mit Sigmund Freud hätten, was würde wohl zum Thema werden? Gibt es konkrete Fragen?Petra Roscheck: Mich würde Freuds Revision der psychoanalytischen Theorie insgesamt interessieren. Wie würde er die vielen Veränderungen in den zeitgenössischen Familien- und Beziehungsformen in die psychoanalytische Theorie einfließen lassen? Was würde er durch das Wissen, das wir heutzutage über die Psychoanalyse haben, an seinen Konzepten ändern? Was würde in einem weiteren Band seiner Schriften, verfasst im Jahre 2019, wohl stehen?
DWP: Stoff- oder Ledercouch?Petra Roscheck: Was die Wahl der Couch wohl über die Psychoanalytikerin aussagt? Derzeit habe ich eine bordeauxrote Stoffcouch...
DWP: Bruno Bettelheim wies auf die Bedeutung von Märchen im Kindesalter hin. Verraten Sie uns Ihr Lieblingsmärchen? Und erkennen Sie Parallelen zur Entwicklung Ihres Lebens?Petra Roscheck: „Des Kaisers neue Kleider“ von Hans Christian Andersen. Das Kind, das ohne Angst unmittelbar seine Wahrnehmung teilt, sich damit gegen die leugnende Masse stellt und die Wahrheit ans Licht bringt, macht Mut und ist der Position einer Psychoanalytikerin gar nicht so unähnlich, finde ich.
DWP: Ich träume …Petra Roscheck: … davon, dass mehr Menschen sich und anderen mit mehr Wohlwollen und einer Haltung des “Verstehen-Wollens” anstelle eines Be- und Verurteilens begegnen, und davon, dass Gefühle in unserer Gesellschaft weniger abgespalten werden müssen.
DWP: Welchen Beitrag kann die Psychoanalyse heute leisten bzw. leistet sie für Sie? Hat sie Grenzen?Petra Roscheck: Im Idealfall geht aus einer gelungenen psychoanalytischen Behandlung ein autonomes, integeres Individuum hervor, das sein Leben und die Gesellschaft aktiv und bewusst (mit-) gestalten kann. Ich bin der Meinung, dass die psychoanalytische Therapie das tatsächlich schaffen kann. Natürlich kann im Rahmen einer Behandlung nicht immer alles bewusst gemacht und durchgearbeitet werden. Wo da die Grenzen liegen, wird in einem Dialog vom Umbewussten der AnalysandIn / des Analysanden zum Unbewussten der behandelnden Person verhandelt.
Zu den Grenzen der Psychoanalyse bietet auch das Buch von Susann Heenen-Wolff „Gegen die Normativität in der Psychoanalyse“ einen guten Denkanstoß, finde ich. Die Autorin kritisiert eine zu normative Auslegung verschiedener Konzepte Freuds, die der Vielfalt moderner Liebes- und Lebensformen nicht Rechnung tragen,und stellt die Sinnhaftigkeit von Begriffen wie „Ödipuskomplex“ und „reife genitale Sexualität“ in Frage.
Was den öffentlichen Diskurs betrifft, so würde ich mir wünschen, dass psychoanalytisches und psychoedukatives Wissen vermehrt in den Medien und an Schulen vermittelt wird.
DWP: Was finden Sie an der Psychoanalyse gut bzw. sehen Sie auch Gefahren die von Ihr ausgehen können?Petra Roscheck: Mit der Grundhaltung der Psychoanalyse des “Verstehen-Wollens” im Gegensatz zu einem “Zudeckeln” und Verurteilen kann ich sehr viel anfangen sowie mit dem Anspruch, Denktabus zu dekonstruieren. Gefahren sehe ich dort, wo das Infragestellen nicht passieren darf, wo es zu Starrheit und Dogmatismen kommt sowie die Gefahr des Machtmissbrauchs in Behandlungen.
DWP: Verraten Sie uns ihr Lieblingszitat? Von Freud oder einem anderen Psychoanalytiker?Petra Roscheck:
„Die Grenze aber zwischen den normal und krankhaft benannten Seelenzuständen ist zum Teil eine konventionelle, zum anderen eine so fließende, daß wahrscheinlich jeder von uns sie im Laufe eines Tages mehrmals überschreitet.“ Freud, S. (1907a): Der Wahn und die Träume in W. Jensens »Gradiva«. GW VII: 70 Herzlichen Dank für dieses Gespräch, wir freuen uns bereits jetzt Alle auf Ihren Leitartikel!
Kontaktdaten der Autorin:Petra Roscheck