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Leitartikel


DER WIENER PSYCHOANALYTIKER möchte nicht nur bereits international etablierten Psychoanalytikern/Innen, sondern auch noch unbekannten Psychoanalytikern/Innen die Gelegenheit geben einen selbstverfassten, bisher noch nicht publizierten Artikel auf der Titelseite unseres Onlinemagazins zu posten!

Im Forum werden dann dazu alle User Stellung nehmen, Fragen formulieren und kommentieren können. Wir wollen dadurch einen bisher so noch nicht dagewesenen, internationalen Gedankenaustausch zwischen Psychoanalyse-Interessierten ermöglichen.
Aktuelle Textsprache ist Deutsch und/oder Englisch.

Bei Interesse, Ihre Zusendungen bitte an:
leitartikel@derwienerpsychoanalytiker.at


(Werden Personenbezeichnungen aus Gründen der besseren Lesbarkeit lediglich in der männlichen oder weiblichen Form verwendet, so schließt dies das jeweils andere Geschlecht mit ein.)

IM GESPRÄCH MIT

Autor/in: PAMELA COOPER-WHITE / DWP

(06.02.2019)
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In unserer Interviewreihe "im Gespräch mit" stellen wir kurz die Autoren der Leitartikel vor. Damit wollen wir unseren Usern die Möglichkeit geben, die Leitartikel auch aus einer anderen Perspektive heraus lesen zu können.

Diese Woche freuen wir uns ganz besonders Pamela Cooper-White aus New York, U.S.A. zu begrüßen.

Rev. Pamela Cooper-White, Ph.D., ist seit 2015 Professorin für Psychologie und Religion am  Union Theological Seminary (New York) nach langjähriger Tätigkeit als Professorin am  Columbia Theological Seminary und als Co-Direktorin des Atlanta Theological Association‘s Th.D. Programms für pastorale Beratung. Sie war die Fulbright-Freud-Wissenschaftlerin  für Psychoanalyse von 2013-2014 in Wien.

Dr. Cooper-White promovierte an der Harvard University (in historischer Musikwissenschaft), am Institute for Clinical Social Work in Chicago (in psychoanalytischer Praxis und Forschung) und hat einen MDiv an der Harvard Divinity School absolviert. Sie ist ordinierte Bischofspfarrerin (anglikanisch) und geprüfte Beraterin für zugelassenes, klinisches Fachpersonal. Dr. Cooper-White wird von Mai-Juni 2019  im Rahmen eines großzügigen Sabbat-Stipendiums des Arnold Schönberg Center nach Wien zurückkehren, um über Freuds und Schönbergs Moses zu forschen.



DWP: Was brachte Sie zur Psychoanalyse?


Pamela Cooper-White: Wie für viele von uns ist die Antwort darauf zum Teil sehr persönlich. Ich wuchs in einem Haushalt auf, wo es notwendig war, die versteckte Familiendynamik zu verstehen, um das eigene geistige Equilibrium zu erhalten. Meine Familie unterstützte auch meine intellektuelle Neugier, als solches war ich von klein auf zu einer gewissen intellektuellen Strenge/Starrheit und der profunden Erklärungskraft von psychoanalytischen Gedanken, um wichtige existenzielle Fragen zu beantworten, hingezogen.


DWP: Was fasziniert Sie an der Psychoanalyse besonders?


Pamela Cooper-White: Ich war immer schon fasziniert von dem, was sich unter der Oberfläche befindet - nicht nur in der Psychologie, sondern auch in Kunst, Politik und sozialer Dynamik. Da ich mir in den letzten zwei Jahrzehnten die relationale Psychoanalyse und die Intersubjektivitätstheorie zu meiner theoretischen Heimat gemacht habe, fasziniert mich immer wieder, wie unbewusste Kommunikation tatsächlich geschieht - in der Therapie, in zwischenmenschlichen Beziehungen und in der Gruppendynamik. Ich bin auch beeindruckt von und habe viel über die Nützlichkeit der multiplen Selbsttheorie geschrieben - und als pastorale Theologin, sowie als psychoanalytische Therapeutin und Schriftstellerin, habe ich wunderbare Parallelen zwischen der Multiplizität des Selbst und Multiplizität des Göttlichen in zahlreichen religiösen Traditionen gefunden.
 

DWP: Welche Rolle spielt die Psychoanalyse als Therapieform für Sie, haben Sie einen Bezug dazu?

Pamela Cooper-White: Ich war sowohl als Analysandin als auch als analytische Psychotherapeutin auf beiden Seiten der Couch. Die Psychoanalyse hat mir in einer gewissen Art und Weise eine erweiterte/neue Weltanschauung gegeben (trotz Freuds Beharrung, dass sie keine Weltanschauung ist) oder zumindest eine Linse, um mich und andere zu verstehen. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass in jeder Interaktion und in jedem Kontext immer mehr passiert als „das Auge zu sehen vermag“. Wie in der Theorie der klinischen Praxis bekannt ist, ist es wichtig, wie Freud auch schon wusste, darauf zu achten, was in der Übertragung und Gegenübertragung geschieht, da sie Einblicke eröffnen kann, die auf andere Weise nicht zugänglich sind.
 

DWP: Wenn Sie die Gelegenheit zu einem Gespräch mit Sigmund Freud hätten, was würde wohl zum Thema werden? Gibt es konkrete Fragen?

Pamela Cooper-White: Ich würde gerne meine Forschungsergebnisse in meinem kürzlich erschienenen Buch Old and Dirty Gods: Religion, Antisemitism, and the Origins of Psychoanalysis zu den Einstellungen seines frühen Kreises gegenüber der Religion teilen, die viel komplexer und abwechslungsreicher waren, als bisher von Historikern der Psychoanalyse angenommen wurde. Noch wichtiger wäre ein Gespräch mit ihm über meine Schlussfolgerung zu führen, dass Antisemitismus der „totale Kontext“ und Katalysator für die Psychoanalyse selbst sei, weil er eine erhöhte Wahrnehmung aus einer Randposition und eine Neigung dazu ermöglicht, hinter die glitzernden, heuchlerischen Flächen Wiens des 20. Jahrhunderts zu schauen, und zu sehen, was den Juden ständig verweigert und verdrängt wurde - nämlich Sex und Aggression. Ich würde gerne wissen, was er darüber denken würde. 
 

DWP: Stoff- oder Ledercouch?

Pamela Cooper-White: Macht nichts! Die therapeutische Beziehung ist am wichtigsten. (Aber es ist nett eine Tagesdecke zu haben!)


DWP: Bruno Bettelheim wies auf die Bedeutung von Märchen im Kindesalter hin. Verraten Sie uns Ihr Lieblingsmärchen? Und erkennen Sie Parallelen zur Entwicklung Ihres Lebens?

Pamela Cooper-White: Ich habe kein Lieblingsmärchen per se oder eines, das mich besonders anspricht. Ich beziehe mich gelegentlich auf die Coyote Fabeln der Ureinwohner Amerikas. Der Kojote ist ein Trickster, der seine Form verändern kann (multiple Selbsttheorie!). Dank seiner Schlauheit gerät er in und aus Schwierigkeiten, und er ist auch derjenige, der die Sterne zu Beginn der Schöpfung über den Himmel geworfen hat - er schafft Schönheit mit seiner Verspieltheit. Er ist der vollkommene Überlebenskünstler. Als Theologin bewegen mich natürlich auch Geschichten in der Bibel, die ich nicht als Märchen betrachte, aber sicherlich, wie zum Beispiel die Erzählungen der Schöpfungsgeschichte in der Genesis, beziehe ich mich auf sie als Mythen – d.h. tiefe Wahrheiten, die durch Metapher, Bild, und Geschichte übermittelt werden. Ich bin von Freuds Faszination der Figur Moses beeindruckt. Wenn ich diesen Mai und Juni in Wien bin, plane ich eine vergleichende Studie von Freuds Moses mit dem Komponisten Arnold Schönbergs Moses (aus seiner Oper Moses u. Aron), die ich vor vielen Jahren tiefgehend studiert habe.
 

DWP: Ich träume, …

Pamela Cooper-White: …von einer Welt, wo menschliche Brutalität überwunden wurde- wo der Mensch nichtnicht länger „dem Menschen ein Wolf“ ist. Wo Freuds Appell an Logos gesiegt hat.


DWP: Welchen Beitrag kann die Psychoanalyse heute leisten bzw. leistet sie für Sie? Hat sie Grenzen?

Pamela Cooper-White: Wie ich im Fazit von Old and Dirty Gods [Alte und Dreckige Götter] geschrieben habe, glaube ich, dass die Psychoanalyse einen Weg anbietet, die Aggression, die man heutzutage überall findet, zu verstehen. Besonders sollte Freuds Massenpsychologie eine Pflichtlektüre in jeder denkenden Gesellschaft sein. Nationalistische Demagogen, die die Feuer der Angst und des Hasses schüren, sind in den USA und in Europa auf dem Vormarsch, und weisen erschreckende Parallelen zum Deutschland der 1920er Jahre (wenn auch noch nicht der 1930er Jahre) auf. Und die Psychoanalyse kann uns helfen, die irrationale Leugnung und Abneigung zu verstehen, die viele Menschen noch immer in Bezug auf den Klimawandel haben, den sie nicht ernstnehmen. Durch das Verständnis können vielleicht sinnvollere Schritte unternommen werden, um dem entgegenzuwirken. Wenn die Psychoanalyse das "Redekur" für Menschen ist, die sich irrational gegen ihre eigenen Interessen verhalten, was für ein "Redekur" werden wir finden, um uns gegen die blinden Wiederholungen der Schrecken des fremdenfeindlichen Nationalismus zu wehren, und um uns gegen den anti-wissenschaftlichen Irrationalismus zu behaupten, der heutzutage in Amerika und Europa auftritt?


DWP: Was finden Sie an der Psychoanalyse gut bzw. sehen Sie auch Gefahren die von Ihr ausgehen können?

Pamela Cooper-White: Ich schätze viele Dinge an der Psychoanalyse, aber im Alltag schätze ich wahrscheinlich am meisten die Perspektive, die uns ermöglicht, andere zu verstehen, auch wenn sie scheinbar irrational handeln, und eine kultivierte Empathie gegenüber einem Verhalten zu empfinden, das für uns anfänglich verletzend ist, weil wir das zugrundeliegende Motiv erkennen. Darüber nachzudenken, dass eine andere Person ihre eigenen Wunden und Ängste von Kindheit an mit sich trägt - und unsere eigenen Schwachstellen und Trigger zu erkennen - kann dazu beitragen, Konflikte zu entschärfen und Mitgefühl für andere und uns selbst zu fördern. Was den Schaden (die Gefahren) anbelangt, denke ich, dass die Psychoanalyse am ehesten dazu neigt, als amerikanische Ego-Psychologie Iterationen zu schädigen, wo ein starres Festhalten an bestimmten theoretischen Vorstellungen als Shibboleths und eine besonders unnachgiebige Form der Abstinenz, in der therapeutischen Praxis tatsächlich einigen Personen Schaden zugefügt haben, indem man sie pathologisiert oder einfach Elemente in ihren Erfahrungen und Wahrnehmungen außer Acht lässt, da diese nicht in die  konstruierten, theoretischen Boxen passen. Wie es meine amerikanische Kollegin Emily Kuriloff in ihrem Buch Contemporary Psychoanalysis and the Legacy of the Third Reich bereits gut ausgedrückt hat, war dies wahrscheinlich eine posttraumatische Reaktion der aus dem Holocaust fliehenden Analytiker-Emigranten. Ein großer Teil des politischen und sozialen Engagements der Psychoanalyse in den 1920er Jahren wurde (aus vielen Gründen) aufgegeben, als die Psychoanalyse nach Amerika importiert und für mehrere Jahrzehnte zur hegemonialen Form der Psychiatrie wurde. Mittlerweile sehe ich jedoch sowohl eine Öffnung der  theoretischen und praktische Rigidität als auch eine Erweiterung des Anwendungsbereichs der Psychoanalyse, um nicht nur den individualistischen Fokus auf intrapsychische Dynamiken, sondern auch ein Bewusstsein für die Bedeutung sozialer, politischer Aspekte und ökonomische Kontexte, und die Auswirkungen und psychische Verinnerlichung von Unterdrückung zu erfassen.


DWP: Verraten Sie uns ihr Lieblingszitat? Von Freud, oder einem anderen Psychoanalytiker?

Pamela Cooper-White: Es ist sehr bemerkenswert, daß das Ubw eines Menschen mit Umgehung des Bw auf das Ubw eines anderen reagieren kann.  (Freud, Das Unbewusste, 1915)


Herzlichen Dank für dieses Gespräch, wir freuen uns bereits jetzt Alle auf Ihren Leitartikel!


Dr. Cooper-White hat 9 Bücher veröffentlicht: Schoenberg and the God-Idea: The Opera ‘Moses und Aron’ (UMI Research Press, 1985); The Cry of Tamar: Violence against Women and the Church´s Response (Fortress Press, 1995 and 2nd ed. 2012); Shared Wisdom: Use of the Self in Pastoral Care & Counseling (Fortress, 2004); Many Voices: Pastoral Psychotherapy in Relational and Theological Perspective (Fortress, 2007); Braided Selves: Collected Essays on Multiplicity, God, and Persons (Cascade, 2011); Exploring Practices of Ministry (with Michael Cooper-White) (Fortress, 2014);  Old & Dirty Gods: Religion, Antisemitism, and the Origins of Psychoanalysis (Routledge, 2017); Sabina Spielrein and the Beginnings of Psychoanalysis: Image, Thought, and Language (Co-editor, contributor and translator) (Routledge, 2019); und Gender, Violence and Justice: Collected Essays on Violence against Women (single author anthology) (Cascade Books, in press, 2019). 

Sie hat auch über 100 Zeitschriftenartikel und Anthologiekapitel veröffentlicht, und hält  regelmäßig Vorträge in den USA, Europa und Israel. Sie ist derzeit Präsidentin und Gründungsmitglied der Internationalen Vereinigung für spirituelle Pflege in Bern (Schweiz). Sie ist Mitglied des Lenkungsausschusses der Psychologie-, Kultur- und Religionsgruppe der American Academy of Religion und im Redaktionsausschuss des Journal of Pastoral Theology.


Kontaktinformationen:
Pamela Cooper-White


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