IM GESPRÄCH MIT
Autor/in: Manfred F.R. Kets / Sabrina Zehetner (DWP)
In unserer Interviewreihe "im Gespräch mit" stellen wir kurz die Autoren der Leitartikel vor. Damit wollen wir unseren Usern die Möglichkeit geben, die Leitartikel auch aus einer anderen Perspektive heraus lesen zu können.
Diese Woche freuen wir uns ganz besonders
Manfred F.R. Kets de Vries aus Paris, Frankreich zu begrüßen:
Manfred F.R. Kets de Vries ist ein renommierter klinischer Professor in den Feldern Führungsentwicklung und Organisationswandel an der INSEAD Business School for the World. Er betrachtet die häufig untersuchten Forschungsfelder rund um Führung und Dynamiken individueller und organisationaler Veränderung aus neuer Perspektive. Mit seinen Erkenntnissen und Erfahrungen in der Ökonomie (Econ.Drs., University of Amsterdam), Management (ITP, M.B.A., und D.B.A., Harvard Business School) und der Psychoanalyse (Canadian Psychoanalytic Society and the International Psychoanalytic Association) untersucht er die Schnittstelle zwischen internationalem Management, Psychoanalyse, Psychotherapie und dynamischer Psychiatrie. Seine Interessensgebiete umfassen Führungsentwicklung, Top Executive-Teambildung, Organisationswandel und interkulturelles Management.
Was brachte Sie zur Psychoanalyse?Manfred F.R. Kets de Vries: Die meisten Menschen wollen mehr über sich selbst erfahren, und mehr Klarheit darüber bekommen, warum sie tun, was sie tun. Als ich Professor für Organisationsverhalten wurde, bekamen strukturelle Faktoren mehr Aufmerksamkeit als die Menschen. Ich wollte den Fokus auf die Menschen in Organisationen richten und hatte das Gefühl, dass die Psychoanalyse unübertroffen ist, wenn es darum geht, menschliches Verhalten in Organisationen zu verstehen. Mein damaliger Mentor an der Harvard Business School, Abraham Zaleznik, hat mich diesbezüglich sehr beeinflusst. Er war einer der ersten, der versuchte die Psychoanalyse mit dem Organisationsleben zu verknüpfen, einer Thematik, der die Psychoanalyse wenig Aufmerksamkeit geschenkt hat. Ich betrachte es als einer meiner Missionen „Lieben und Arbeiten“ mehr Aufmerksamkeit zu schenken, worüber auch Freud gesprochen hat, und die Arbeit in die Psychoanalyse miteinzubinden.
Ist das einer der Herausforderungen, die sie sich während Ihrer eigenen Analyse stellen mussten?Manfred F.R. Kets de Vries: Nein, ich hatte großes Glück, weil die Psychoanalytic Society in Montréal nicht sehr orthodox war und keine ideologischen Vorurteile hatte. Und ich hatte auch Glück mit meinem Psychoanalytiker, Maurice Dongier, dem damaligen Leiter der psychiatrischen Abteilung. Ich denke allerdings, dass manche meiner Kollegen, die versuchten Organisationen und Psychoanalyse zusammenzuführen, sich schwerer taten, da sie im Grunde genommen als Zirkustiere betrachtet wurden.
Wenn Sie die Gelegenheit zu einem Gespräch mit Sigmund Freud hätten, was würde wohl zum Thema werden? Gibt es konkrete Fragen?Manfred F.R. Kets de Vries: Ich hätte mir gewünscht, dass Freud der Arbeitswelt mehr Aufmerksamkeit geschenkt hätte, weil sie einen großen Teil des Lebens einnimmt. Während meiner psychoanalytischen Ausbildung in Montréal, waren alle meine Kollegen Psychiater oder Psychologen, und es gab wenig Verständnis für das Arbeitsleben. Die einzigen, die Arbeit zum Thema machten, führten selbst Organisationen, z.B. am Tavistock Institute, wo es mehrere Leute gibt, die für Organisationen arbeiten, oder Elliot Jacques, einem bekannten Vertreter des Feldes. Bions Werke zu Gruppen waren sehr interessant, aber mit der Zeit schwerer zu verstehen.
Denken Sie, dass die Psychoanalyse ein Kommunikationsproblem hat?Manfred F.R. Kets de Vries: Ja, die meisten Psychoanalytiker sind schreckliche Autoren. Melanie Klein war eine besonders schlechte Schriftstellerin, Bion ist auch kein besonders guter Autor. Ich versuche komplexe Ideen auf simple Weise zu kommunizieren und zu übersetzen, und die meisten Psychoanalytiker können das nicht.
Und hinsichtlich einer psychoanalytischen empirischen Forschung?Manfred F.R. Kets de Vries: Das war schon immer ein Problem, das von ihnen (den Psychoanalytikern) ignoriert wurde. Natürlich hatte Freud seine Fallstudien, aber man muss mehr als das machen. Es gibt sehr wenige Psychoanalytiker, die konzeptionell arbeiten, die meisten treffen generalisierende Aussagen auf Basis einzelner Fallgeschichten. Die psychoanalytischen Institute haben sich von der Mainstream-Wissenschaft getrennt, eine schlechte Entscheidung. Die besten und klügsten Leute gehen leider nicht in die Psychoanalyse und die Psychoanalytiker können sich mit ihrem selbstgerechten Verhalten dafür nur selbst die Schuld geben, und sie finden auch keine Kandidaten mehr. Viele Psychoanalytiker könnten davon profitieren, wenn sie ihren Horizont erweitern würden. Ich habe die Technologie für Interventionsgruppen eingeführt und eine psychoanalytische Orientierung entwickelt, da der durchschnittliche Mitbürger nicht fünf Mal in der Woche zur Psychoanalyse geht. Im Grunde genommen versuche ich die Psychoanalyse einem breiteren Publikum näherzubringen.
Stoff-oder Ledercouch?Manfred F.R. Kets de Vries: Stoff – Leder ist ein wenig kalt, wie ich finde ich.
Bruno Bettelheim hat auf die Bedeutung vom Märchen hingewiesen - verraten Sie uns Ihr Lieblingsmärchen? Manfred F.R. Kets de Vries: Ich habe selbst ein Buch über Märchen geschrieben. Ich frage andere manchmal nach der Handlung in „Rotkäppchen“ und seine Bedeutung, also vielleicht „Rotkäppchen“, eine Geschichte über ein Mädchen, das erwachsen wird und Fantasien über Imprägnierung, Fruchtbarkeit, etc. Die Geschichte ist ein gutes moralisches Lehrstück.
Was finden Sie an der Psychoanalyse gut, bzw. besonders gut?Manfred F.R. Kets de Vries: Die Psychoanalyse hilft einem dabei, sich der Realität besser stellen zu können und sie zu respektieren, und mehr Akzeptanz zu haben und die Dinge aus einer philosophischen Perspektive zu betrachten. Nach Einsteins Definition bedeutet Wahnsinn „immer wieder das Gleiche zutun und andere Ergebnisse zu erwarten“. Ich denke, die Fähigkeit zu handeln und zu reflektieren, und dieses reflektive Selbst zu haben, welches in schwierigen Situationen hilft, ist eine enorme Kraftquelle. Ich lernte einmal einen indischen Psychoanalytiker in Ausbildung kennen, der sich immer in narzisstische Frauen verliebte, und mir sagte: „Hör mir zu, ich verliebe mich immer in narzisstische Frauen, aber ich heirate sie nicht mehr.“
Haben Sie ein Lieblingszitat von Freud?Manfred F.R. Kets de Vries: „Manchmal ist eine Zigarre nur eine Zigarre“ – Besonders junge Psychoanalytiker neigen dazu zu überanalysieren. Natürlich kann man in allem symbolische Bedeutung finden, aber es ist wichtig Dinge so zu sehen wie sie tatsächlich sind.
Herzlichen Dank für dieses Gespräch, wir freuen uns bereits jetzt Alle auf Ihren Leitartikel!
Kontaktinformationen des Autors:Manfred F.R. Kets de Vries