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Leitartikel


DER WIENER PSYCHOANALYTIKER möchte nicht nur bereits international etablierten Psychoanalytikern/Innen, sondern auch noch unbekannten Psychoanalytikern/Innen die Gelegenheit geben einen selbstverfassten, bisher noch nicht publizierten Artikel auf der Titelseite unseres Onlinemagazins zu posten!

Im Forum werden dann dazu alle User Stellung nehmen, Fragen formulieren und kommentieren können. Wir wollen dadurch einen bisher so noch nicht dagewesenen, internationalen Gedankenaustausch zwischen Psychoanalyse-Interessierten ermöglichen.
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(Werden Personenbezeichnungen aus Gründen der besseren Lesbarkeit lediglich in der männlichen oder weiblichen Form verwendet, so schließt dies das jeweils andere Geschlecht mit ein.)

Wo liegen die Grenzen wissenschaftlicher Neugierde?

Autor/in: Sabrina Zehetner (DWP)

(25.07.2018)
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Über berühmte Psychoanalytiker und ihre Beschäftigung mit der Parapsychologie.

„Sie werden aus meinem Vortrag nichts über das Rätsel der Telepathie erfahren, nicht einmal Aufschluß darüber erhalten, ob ich an die Existenz einer »Telepathie« glaube oder nicht.“ (Traum und Telepathie, Sigmund Freud, 1922)

Als Fachkundiger der altgriechischen Sprache und Literatur, war Sigmund Freud höchstwahrscheinlich mit dem Wek „Philopseudes“ (die Inspiration für den „Zauberlehrling“ von Johann Wolfgang von Goethe), des Satirikers Lukian von Samosata in Berührung gekommen, in dem der scharfzüngige Autor sich geistreich über jene lustig macht, die an das Übernatürliche glauben. Die Faszination für das Transzendente ist so alt wie die Menschheit selbst und es verwundert nicht, dass selbst große Intellektuelle und Wissenschafter oft in den Bann des Übernatürlichen gezogen werden. Viele sind allerdings zurückhaltend, wenn es darum geht, vergangene Liebäugeleien mit dem Übersinnlichen innerhalb psychoanalytischer Kreise zu thematisieren.  Nicht ohne Grund - Das Thema ist heikel, denn Psychoanalytiker, die heutzutage bestimmte übernatürliche Praktiken in ihre psychoanalytische Behandlung einbauen wollen, rücken den Berufsstand zweifellos in ein schlechtes Licht. Warum wir die Psychoanalyse so häufig mit dem Transzendenten in Verbindung gebracht?

Einfach ausgedrückt sucht die Psychoanalyse unter anderem nach hermeneutischen Erklärungen für menschliche Erfahrungen, die früher von Religion und anderen Formen von Spiritualität verwaltet wurden. Die paranormalen Fantasien der meisten Menschen entstammen unbewussten Primärprozessen und stellen ein Ventil für sehr reale, unverarbeitete psychische Prozesse dar. Die Psychoanalyse steckt diesbezüglich in einer Zwickmühle, da sowohl die Psychoanalyse als auch das Paranormale (ob Okkultismus, Telepathie oder andere Formen) mit dem Unbewussten in Verbindung gebracht werden. Dies entwickelt sich dann zu einem Problem für den Berufsstand, wenn die Psychoanalytiker die Grenzen weichzeichnen, und ähnlich wie Esoteriker, der Überzeugung sind gottgleiche Kräfte zu besitzen. Weitere Spekulationen werden durch die Tatsache genährt, dass die Psychoanalyse mit Institutionalisierung hadert und aus veschiedenen Schulen besteht, die wiederum individuellen, und oft verehrten, Psychoanalytikern gewidmet sind. Während heutzutage das „Okkulte“ und „Paranormale“ aus den psychoanalytischen Praxen verbannt wurde, entstanden neue „sprirtuelle“, new age – ähnliche Trends.  Institute mit ökonomisch cleveren Selbsthilfegurus, die „Psychotherapie, Coaching und Spiritualität“ bewerben, und Yoga und Meditation komplementär zur psychoanalytischen Behandlung anbieten, scheinen wie Pilze aus dem Boden zu schießen. Ist dies ein neuartiges Phänomen?

Nein. Die Verbindung mit dem Okkulten und Übersnnlichen innerhalb psychoanalytischer Kreise hat eine lange und komplexe Geschichte. George Devereux konnte 31 Dokumente zu dem Thema sammeln, welche er 1953 veröffentlichte. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert galten okkulte Praktiken – also Parapsychologie, Kartenlegen, Telepathie, Wahrsagerei, Astrologie und andere Formen der übernatürlichen Forschung – trotz ihrer gesellschaftlichen Stigmatisierung als en vogue, und waren bis zu einem gewissen Grad Teil des intellektuellen Mainstreams, ähnlich wie Yoga oder Meditation heute. Die Periode des Fin de Siècle erlebte ein „mystisches Comeback“, das ihren Usprung im Viktorianischen Zeitalter hatte. Freud selbst hatte eine äußerst ambvivalente Haltung zum Okkulten und Übernatürlichen in Bezug auf die Psychoanalyse, und änderte seine Meinung zu dem Thema mehrfach. Während er, z.B. die Beschäftigung mit Telepathie, jedoch zunächst vehement missachtete, wurde er später von seiner wissenschaftlichen Neugierde überwältigt. Sigmund Freud wurde Mitglied der Society for Psychical Research (SPR) und ihrer Ableger in Griechenland und den Vereinigen Staaten, und publizierte auch Werke über die Thematik, wie z.B. „Die okkulte Bedeutung des Traums“ (1926), oder „Traum und Telepathie“ (1921).

Sigmund Freud schien besonders beeindruckt von den Studien Gilbert Murrays, einem ehemaligen Präsidenten der Britischen (Society for Psychic Research (SPR). Der Oxford-Absolvent und klassische Philologe führte mehr als 800 telepathische Experimente, oder „Gedankenübertragungen“, wie jene Psychoanalytike – wie Sàndor Ferenczi -  sie bezeichneten, die danach strebten sie in die psychoanalytische Praxis zu inkludieren, durch. Die Experimentberichte waren jedoch unvollständig und die verwendeten Methoden durch und durch unwissenschaftlich. Murray war mit den meisten Teilnehmern verwandt und die Durchführung selbst war nachlässig – Mängel, die Sigmund Freud zu diesem Zeitpunk nicht zu beachten schien. Doch auch wenn Freud, ein überzeuger Atheist, Interesse an der Telepathie zeigte, war er besorgt, dass der Ruf der Psychoanalyse darunter leiden könnte. Urpsrünglich sah er Okkultisms und Psychoanalyse als potentielle Verbündete, da sie zu jener Zeit beide schwer stigmatisiert wurden. Freuds streitbarer Freund, Ernest Jones, riet ihm stark davon ab sich mit dem Paranormalen auseinanderzusetzen, und stellte ihn später überspitzt als heimlichen Verehrer des Okkulten dar. Helene Deutsch, die 1926 das Werk „Okkulte Vorgänge während der Psychoanalyse“ veröffentlichte, und Dorothy Burlingham, gehörten zu den zahlreichen PsychoanalytikerInnen, die sich mit dem Thema intensiv auseinandersetzten.

Als Ferencszi, dessen Faszination der Gedankenübertragung galt, und dessen erste Publikation dem Spirituellen gewidmet war, und Anna Freud ihre Erkenntnisse zur Gedankenübertragung veröffentlichen wollten, hielt Freud sie in einem der vielen Briefwechsel mit Ferenczi davon ab: „Ich rate Ihnen ab. Tun Sie es nicht. Sie werfen damit eme Bombe ins psychoanalytische Haus, die gewiß nicht verfehlen wird zu explodieren.“ Auch Freud hatte zuvor mit Anna Telepathie-Experimente durchgeführt. In Ferenczis Korrespondenz mit Freud behauptete jener sogar die Gedanken seiner Patienten lesen zu können: „Ich kann die Gedanken meiner Patienten lesen (in meinen freien Assouiationen!“ Ob diese Aussage tatsächlich ernst gemeint war, lässt sich schwer berurteilen. Ferenczi lud später einen Telepathen zu einem Treffen der Wiener Psychoanalytischen Gesellschaft ein und bezeichnete sich scherzhaft als „Hofastrologen der Psychoanalyse“.  Während Sigmund Freud sein Interesse für das Übernatürliche und die psychoanalytische Behandlung größtenteils voneinander trennte, verwischte Jung die Grenzen zwischen Mystik und der menschlichen Psyche radikal - einer der Ursachen für den späteren Bruch der beiden.

Bei aller gerechtfertiger Kritik ist es jedoch durchaus möglich, dass die telepathischen Experimente den Anstoß zur theoretischen Konzeptentwicklung der Übertragung gaben, und dass diese fragwürdige Faszination eine Art Spiel darstellte, die erkenntnistheoretische Kreativität förderte, und so später zu einigen stichhaltigen therapeutischen Erkenntnissen und Methoden führten. 

Welche Meinung haben Sie zu PsychoanalytikerInnen und der beschriebenen Faszination für das Okkulte? Haben Yoga und andere ostasiatische, sprituelle Prakikten heute einen ähnlichen Einfluss auf die Psychoanalyse?


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