Transgenerationales Trauma (Teil II)
Autor/in: Silvia Prosquill (DWP)
Trauma als IdentifizierungsprozessBohleber beschreibt die transgenerationelle Weitergabe eines Traumas mit dem Prozess der Identifizierung und führt für diesen Identifizierungsprozess fünf „allgemeine Charakteristika“ an, die diesen Typus von Identifizierungen von anderen Formen unterscheidet. Erstens bezieht sich die Identifizierung auf ein vergangenes Ereignis. Zweitens handelt es sich bei diesen Prozessen um primitive und totale Identifizierungen mit dem Elternteil. Die traumatisierten Eltern benötigen eine „Regulierung ihres prekären narzisstischen Gleichgewichts und sie bemächtigten sich in dieser Not psychisch ihres Kindes“, indem sie die abgespalteten, „totgesagten“ Anteile unbewusst auf das Kind projizieren. Das Kind erfährt diese aufgenötigten introjizierten Anteile als Entfremdung in einem Teil seines eigenen Selbst und beantwortet sie mit einer Tabuisierung – über die Inhalte kann nicht gesprochen werden. Mit Verweis auf Abraham und Torak (1976) bezeichnet Bohleber diese Ausprägung als „endokryptische Identifizierung“ (griech.: endon „innen“ und kryptós „versteckt, verborgen, geheim“).
Als drittes Merkmal der frühkindlichen Identifizierung mit den traumatischen Erfahrungen beschreibt Bohleber, dass die Inhalte die Charakteristik des Geheimnisses oder eines Phantoms aufweisen. Die scheinbar eigenen Gefühle und Verhaltensweisen gehören eigentlich zur Geschichte der Eltern. Dass sich betroffene Kindern in zwei Wirklichkeiten befinden, in denen sich die Vergangenheit mit der Gegenwart vermischt, findet man bei Bohleber als viertes Merkmal beschrieben. Als fünfte und letzte Charakteristik führt der Autor schließlich noch die Störung der Autonomieentwicklung an, da dem Kind der psychische Raum fehlt, „indem es seine Identität frei von der entfremdenden Macht des Narzissmus der Eltern entwickeln könnte“.
Auch Michael B. Buchholz hat sich mit psychodynamischen Prozessen bei der unbewussten Weitergabe von Traumata zwischen Generationen befasst. Dabei beschäftigt sich der Autor mit der Frage, wie Symbolisierungsprozesse als Prozesse zwischen Metaphorik und Konkretion im Zuge der transgenerativen Weitergabe von Traumata verstanden werden können. Buchholz verweist mit Freud auf die Fähigkeit des Unbewussten, in der unbewussten Kommunikation selbst deutend tätig zu sein, und dass in dieser Weise die (unbewussten, fragmentarischen) eigenen Kenntnisse vom Anderen das Gezeigte und Gewusste übersteigen. Diese Fähigkeit ist für ihn bei mehrgenerationalen Verarbeitungsprozessen maßgeblich und er bindet sie aktiv in seine Arbeit mit den Patienten ein.
Bei der Frage, wie die Weitergabe von Psychischem zu verstehen ist, beruft sich Buchholz auf das Konzept der Internalisierung. Dabei würden ebenso soziale Wertsysteme übernommen, die Situationen strukturieren und Handlungsweisen vorschreiben. Im Zuge dessen hebt er hervor, dass diese allerdings nicht als Repräsentation im Sinne einer Abbildung vorzustellen wären. Damit die, über die Werte vermittelten Handlungsweisen aktuell auch situationsadäquat erfolgen können, bräuchte es für die Vermittlung eine bestimmte „Elastizität“. Diese mache eine dritte Dimension, nämlich jene der „kulturellen Symbole“ bei der Übermittlung notwendig. Sie sind als „Mittelreich“, signifikante Konfigurationen, zwischen vermittelten Wert- und Ideologiesystemen und dem Handeln verstehbar. Über die Vermittlung jener Konfigurationen von den Eltern werden diese vom Kind internalisiert, und es übernimmt die „symbolträchtigen Erlebnisgestalten“ als „Erlebnissymbol“. In dieser Weise besitzen die „Formen“ des Verhaltens Symbolgehalt und welche die Funktion des Verhaltens überlagern können.
Neurobiologische ImplikationenNatan P.F. Kellermann (2011) beschreibt Kellermann vier Formen von Transmissions-modellen und differenziert diese dabei in (1) psychodynamische, (2) sozialisations- und erziehungsgebundene, (3) auf Familiensystem und -kommunikation basierende und (4) biologische und genetische Transmissionsmodelle.
Dabei hat er eine neurobiologisch-verhaltensorientierte Theorie unter Einbeziehung psychoanalytischer Gesichtspunkte zu diesem Phänomen entworfen. Seine Überlegungen und Darstellungen zur transgenerationalen Trauma-Übertragung folgen einerseits dem neurobiologischen Ansatz, der eine genetische Übermittlung dokumentiert. Andererseits stellt Kellermann in Verbindung mit dem psychosozialen Modell die Fürsorge der Eltern in den Mittelpunkt seiner Betrachtung.
Hier weist er auf zu viel oder zu wenig Kommunikation zwischen Eltern und Kind hin. Der Autor vertritt die Meinung, dass nach dem psychosozialen Ansatz das vererbte Trauma bei den Kindern in einer von dem der Elterngeneration abweichenden Variante auftreten kann. Die auslösenden Faktoren können unterschiedlich zu jenen der Eltern sein. Der Autor beschreibt in seinem neurobiologischen Konzept vier Phasen. Zunächst kommt es durch akuten oder chronischen Stress bei der betroffenen Person zu einer übermäßigen Kortisol Ausschüttung, die zu einer vorzeitigen Alterung des Hippocampus führt und die Zellen des Nucleus Amygdalae schädigt. In der zweiten Phase erbt das Kind diese neurobiologische Prägung. Diese Prädisposition erbt der Nachgeborene ohne Wissen der Ursache. Kellermann bezeichnet dies als „Programmfehler“. Erst im Zusammenhang mit selbst erfahrenen Traumata stellen betroffene Kinder eine Verbindung zum Erlebten der Eltern fest. In der dritten Phase werden die Übertragungen von Gewohnheiten berücksichtigt. Die vierte Phase bezieht sich auf die symbolische Vererbung, die in Verbindung mit Tradition von Sprache und Kultur erklärt wird.