Lässt sich die Politik psychoanalysieren?
Autor/in: Sabrina Zehetner (DWP)
Der Status Quo des Zusammenspiels zwischen Psychoanalyse und Politik - Dr. David Bell und Dr. Martin Engelberg sind mit beiden Welten vertraut. Psychoanalyse in der ÖffentlichkeitDie Wahl Donald Trumps hat viele Hobby-Psychoanalytiker und Journalisten dazu motiviert sein Verhalten bis ins kleinste Detail zu analysieren. Bis jetzt wurde er als narzisstisch, größenwahnsinnig und sogar faschistisch bezeichnet. Politische Führungspersönlichkeiten auf der öffentlichen Couch zu platzieren ist kein neues Phänomen. Körpersprache und Rhetorik im Kontext der Politik wurden seit jeher Analysen unterzogen, sind diese jedoch tatsächlich Teil und Aufgabe der Psychoanalyse? Die Psychoanalyse hat schon länger Schwierigkeiten damit ihren Platz in der öffentlichen, politischen Debatte zu finden und ernst genommen zu werden. Warum ist das so?
Zunächst produziert die Psychoanalyse keine Statistiken am Fließband wie andere Felder, z.B. die Soziologie oder Psychologie. Die Psychoanalyse beschäftigt sich mit dem, was mit bloßem Auge nicht wahrnehmbar ist, dem häufig Unterdrückten, und wird im Privaten verhandelt und nicht auf den großen politischen Bühnen der Welt. Diesem Befund kann man zustimmen oder nicht und möglicherweise ändert sich dieser Trend auch wieder - Die derzeitige politische und mediale Landschaft beweist allerdings, dass sich Statistiken als Aufmacher im Kampf um Aufmerksamkeit besser verkaufen als psychoanalytische Abhandlungen. Politik ist öffentliches Tagesgeschehen - Kulturelle oder soziale Phänomene psychoanalytisch zu analysieren und zu interpretieren benötigt Zeit, welche die politische Berichterstattung oftmals nicht hat, besonders nicht im digitalen Zeitalter.
Natürlich kann man über die Kindheitstraumata einer politischen Persönlichkeit spekulieren, aber selbst bei dem Versuch stößt man auf ethische Fragestellungen und Probleme. Die Goldwater rule der APA (American Psychiatric Association) stellt fest: “It is unethical for a psychiatrist to offer a professional opinion unless he or she has conducted an examination and has been granted proper authorization for such a statement.” In diesem Zusammenhang ist es bezeichnend, dass dessen Wikipedia-Artikel Donald Trump ein eigenes Kapitel widmet. Summa summarum schadet die beliebige Analyse politischer Personen und das lockere Einwerfen komplexer Störungen wie dem Narzissmus in die Diskussion einem Berufsstand, der schon länger dagegen ankämpft im Licht der Öffentlichkeit als „irrelevant“ zu gelten. Wenn sich das politische Individuum nur schwer analysieren lässt, wie ist es dann um Gruppenprozesse bestellt?
Psychoanalyse und GruppenphänomeneDr. Martin Engelberg – Psychoanalytiker, Consultant und Nationalratsabgeordneter – merkt an, dass „bekanntlich mitunter eine Medizinalisierung der Psychoanalyse festgestellt und kritisiert wird, also die verstärkte, fast ausschließliche Beschäftigung der Psychoanalyse mit der Behandlung von Patienten.“ Dies würde sich auch in der Psychotherapie- Ausbildung niederschlagen. Im Gegensatz dazu wollten Freud und und andere Psychoanalytiker die Erkenntnisse der Psychoanalyse auch auf gesellschaftliche und kulturelle Prozesse anwenden. Dr. David Bell, ehemaliger Präsident der British Psychoanalytic Society betont, dass „Teilnahme und intellektuelles Verständnis wichtige Schritte sind, damit Individuen das kulturelle/soziopolitische Klima, in dem sie sich befinden, verändern können. Die Rolle des Psychoanalytikers ist hierzu einen Beitrag zu leisten, in der Hoffnung, dass Menschen Gebrauch von dem Wissen machen.“ Für den psychiatrischen Berater (Tavistock and Portman NHS Foundation Trust /Adult Department) kann jenes Verständnis Teil der nachhaltigen Kritik an vorherrschenden Ideologien sein.
„Ich denke, dass die Psychoanalyse immer eine kritische Beziehung zu der Kultur haben sollte, innerhalb derer sie sich definiert, damit die Kultur sich selbst reflektieren kann.“
Gruppendynamiken sind als kleinere Einheit vermutlich greifbarer, wenn man sich kulturellen und sozialen Phänomenen annähern und begreifen will. Für Engelberg hat die Psychoanalyse auch einen gesellschaftspolitischen Auftrag und er verweist auf Freud, der „Gruppenprozesse bereits psychoanalytisch erforscht hat. Er beschrieb die Regression in Massen, die Projektion ihres Ich-Ideals auf eine Führerfigur und die Identifizierung mit dieser, wodurch moralische Zwänge ausgeschalten werden, usw. Später war es dann Wilfred Bion, der die regressiven Prozesse in Gruppen beschrieb.“ Andere Psychoanalytiker wie Turquet, Anzieu, Chasseguet-Smirgel, Kernberg and die britische Tavistock Clinic seien seinem Beispiel gefolgt. Auch psychoanalytisch orientierte Organisationsberater wie Martin Engelberg widmen sich so politischen Prozessen aus einer psychoanalytischen Perspektive.
Psychoanalytiker als Politiker David Bell engagiert sich schon lange für die politische „Linke“ und beschäftigt sich in diesem Zusammenhang auch intensiv mit Fragen zu Rassismus und Stereotypen.
„In meiner eigenen Arbeit habe ich vom psychoanalytischen Verständnis Gebrauch gemacht, um zur Diskussion über die Natur menschlicher Gewalt, die Zerstörung des Sozialstaates, und über den Hass auf Verwundbarkeit und Abhängigkeit, den wir auf andere projizieren, beizutragen.“ Abgesehen von den theoretischen Bestrebungen und politischen Aktivitäten vieler Psychoanalytiker wissen wir nicht wie viele Psychoanalytiker tatsächlich parteipolitische Tätigkeiten ausüben, da das Feld noch relativ unerschlossen ist. Viele Psychoanalytiker arbeiten in der Organisationsberatung und Gruppendynamik, die sowohl Teil der Politik als auch von dieser in Anspruch genommen werden und damit auch den Beginn einer politischen Karriere bedeuten können. Als Nationalratsabgeordneter und Mitglied der ÖVP sieht Martin Engelberg sein politisches Engagement als Chance für die Pschoanalyse „mehr Anerkennung und Bekanntheit“ zu erlangen.
„In der Politik habe ich mich als Mensch engagiert, der sehr gerne Projekte und größere gesellschaftliche und politische Entwicklungen (mit-) gestaltet. Dies habe ich auch schon bisher, zum Beispiel in der jüdischen Gemeinde, aber auch in der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung, getan. Ich wurde also jetzt nicht als Psychoanalytiker per se aktiv. Allerdings helfen mir meine psychoanalytischen Kenntnisse und Erfahrungen dabei durchaus und wird dies auch entsprechend geschätzt. Es erscheint mir auch als ausgezeichneter Weg die Psychoanalyse einem größeren Kreis an Menschen näher zu bringen.“
Vielleicht sehen wir in Zukunft mehr Psychoanalytiker, die den Sprung in die Politik und in die Parlamentssäle und Ministerräte der Welt wagen. Der Psychoanalyse würde es im jeden Fall gut tun und sie könnte neue Wege beschreiten.